Austauschbare Erfolgsgeschichte

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krabbe077 Avatar

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Die erste Frage die sich mir stellte, nachdem ich Iris Sayrams Debütroman Für euch in Händen hielt, war: Ist dieses Buchcover ernst gemeint? Damit möchte ich keineswegs der auf dem Umschlagfoto abgebildeten Person zu nahe treten. Aber die farbliche Gestaltung im Zusammenspiel mit den kleinen rosa Punkten (Glitzerstaub!?) sieht für mich ein bisschen zu trashig aus. Selbstverständlich habe ich versucht, dem Inhalt des Buches trotzdem möglichst unbefangen zu begegnen.

In Für euch erzählt Iris Sayram grob gesagt ihre Lebensgeschichte. Es ist eine Hommage an ihre Mutter, die sich von ihren widrigen Lebensumständen nicht davon abhalten lässt, ihrer Tochter aufopferungsvoll alle Wünsche zu erfüllen und ein schönes Leben zu ermöglichen. Die Autorin beschreibt ihr Aufwachsen im Kölner Rotlicht-Bezirk in den 80er Jahren. Das klingt alles nach perfekten Voraussetzungen für eine interessante und schonungslose Milieustudie, als die das Buch auch beworben wird. Dem wird es nur leider nicht ansatzweise gerecht. Die erste Hälfte des Buches liest sich wie das endlos in die Länge gezogene Tagebuch eines Kindes. Weitestgehend unreflektiert gibt Iris Sayram wieder, wie sie aufgewachsen ist und bleibt dabei fast ausschließlich in der Zeit ihres zehnten und elften Lebensjahres. In der zweiten Hälfte wird dann in plötzlich drastisch erhöhtem Tempo eine klischeehafte Aufsteigergeschichte erzählt. Auch die Mutter, der das Buch ja immerhin gewidmet wird, nimmt in der zweiten Buchhälfte eine immer weiter untergeordnete Rolle ein, sowohl inhaltlich als auch im Kopf der Erzählerin. Leider finden sich auch Unstimmigkeiten in der Erzählung, wenn sich zum Beispiel die zehnjährige Iris fragt, ob sie in der alten Wohnung schon vierzehn oder fünfzehn Jahre lebt. Gespickt ist das Ganze mit Kapitelnamen, deren Sinn sich mir oft nicht erschließt und die ich ab einem gewissen Punkt nur noch überlas.

Für euch ist eine klassische Geschichte nach dem Schema, egal wo du herkommst, du kannst alles schaffen. Solche Storys gibt es nicht nur schon in mehr als ausreichender Menge, sie nerven auch gewaltig. Denn sie suggerieren, man könne sich das erarbeiten und es brauche nur ausreichend Ehrgeiz und Beharrlichkeit. Das ist völliger Blödsinn, denn in der Realität gehört zu diesem Aufstieg unfassbares Glück - oder eben eine uneigennützige und aufopferungsvolle Mutter wie im Falle von Iris Sayram, welche sich für das Wohlergehen der eigenen Familie gar prostituiert. Diese gerät aber gegen Ende des Romans, als die Autorin es nach und nach schafft, sich aus den ärmlichen Verhältnissen zu lösen und sich gar für ihre Eltern schämt, immer mehr in Vergessenheit. Damit verkommt Iris Sayrams Debütroman zu einer austauschbaren “selfmade”-Aufstiegsgeschichte. Für eine Milieustudie ist mir die Geschichte zu unreflektiert, zu wenig einordnend.