Herzzerreißend und himmelhochjauzend

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fraedherike Avatar

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Als Iris' Mutter ins Krankenhaus kommt, sie ihr beim Waschen, beim Essen, beim Schminken helfen muss, tut sich etwas in ihr. Immer war ihre Mutter es, die für sie da war, die all das, was sie durchstand, immer "für euch" gemacht hatte. Für sie, Iris, war sie anschaffen gegangen, hatte mit Drogen gedealt, geklaut, war im Gefängnis. All das Geld, das sie verdiente, war dafür vorgesehen, dass ihre Tochter alles haben, ein Leben führen könnte, ohne jemals zurückzustecken oder sich zu schämen. Lieber die Flaschejacke, als dass sie Brot zum Frühstück haben. Iris blickt zurück auf ihre Kindheit, auf das bewegte Leben ihrer Mutter, wie sie ihren Vater kennenlernte, sie selbst geboren wurde, sie erwachsen wurde - und sich schließlich abkapselte. Warum zog sie sich zurück und lehnte die Nähe und Fürsorge ihrer Mutter am Ende ab, warum war sie ihr jemals peinlich? Schließlich hatte sie für sie, Iris, sogar Kotze vom Diskoklo gewischt.

Iris Sayrams Debütroman "Für euch" hat mich umgehauen. Sie erzählt aus ihrer Sicht von all den Menschen, die ihr während ihres Lebens begegneten, immer im großen Kontext, das Leben ihrer Mutter, wie sie sich aufopferte, sich im Köln der 80er und 90er Jahre kaputt arbeitete, immer im krassen Gegensatz zu ihrem Vater, der als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland emigrierte und sich dort in Sonja verliebte. Iris als Protagonistin ist aufgeweckt, unglaublich klug - besonders in Mathe - und muss schnell lernen, erwachsen zu sein. Ihr dabei zu folgen, wie sie älter wird, welche Erfahrungen sie schon in jungen Jahren machte, mit welchen Kreisen sie in Kontakt war, den Prozess der Trennung, der Inhaftierung und des Abschieds, immer begleitet von Scham, von Traurigkeit, von dem unbedingten Wunsch, es einmal besser zu haben, sich aus ihrer Klasse zu emanzipieren.

Sprachlich mitreißend, große Bilder, kam das Ende für meinen Geschmack ein wenig zu schnell, zu rasant - aber der Tod klopft schließlich auch nicht an. Ein grandioses Debüt mit argen Daniela Dröscher- und Klassenkampf-Vibes, toll!