Schonungsloser Rückblick auf die eigene Familiengeschichte

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timphilipp Avatar

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Der Name der bislang mir unbekannten deutsch-türkischen Autorin wird einem ab dem kommenden Jahr sicherlich häufiger im Fernsehen begegnen. Denn dann wird die Journalistin und Rechtsanwältin bundespolitische Korrespondentin im ARD Hauptstadtstudio sein. Sie hat also den Sprung aus einfachsten familiären Verhältnissen geschafft, was überhaupt nicht selbstverständlich war. Doch so desolat ihre Familienverhältnisse waren, eines haben ihr ihre deutsche Mutter und ihr türkischer Vater von klein auf mitgegeben – man kann alles schaffen, was man will. Auf eben ihr Familienleben blickt die 1976 in Köln geborene Autorin schonungslos und ehrlich zurück. Die lebenslustige Mutter hat bereits zwei gescheiterte Ehen hinter sich, den Kontakt zu daraus hervorgegangenen Kindern verloren, als sie eine Beziehung zu Iris späterem Vater aufnimmt, der, aus gehobenen Verhältnissen in der Türkei stammend, seine Heimat aus politischen Gründen verlassen hat. In Deutschland ist er nie so recht angekommen, fühlt sich hier nicht zugehörig, wird zum notorischen Spieler, der entsprechend viele Schulden anhäuft. Die Mutter bringt die kleine Familie zunächst mit Putzstellen durch, später als Prostituierte, hat zwischendurch Gefängnisstrafen abzusitzen. Alles tut sie immer uneigennützig „für euch“, ihre Familie. Der kleinen Iris lassen ihre Eltern, obwohl Sozialhilfeempfänger, es an nichts fehlen. In ihrer Kindheit sind Vater und Mutter für sie die Helden. Erst auf dem Gymnasium, auf das sie es tatsächlich schafft, trennt sie strikt die häusliche und die schulische Welt. Allmählich beginnt sie sich ihrer Eltern zu schämen, obwohl diese immer noch alles für sie tun. Sie versucht um jeden Preis, Freundschaften zu „besseren“ Kindern/Jugendlichen aufzunehmen und sich ihnen anzupassen und mitzuhalten. Erst im Erwachsenenalter, als die Mutter dem Sterben nahe ist, bekennt sich Iris wieder rückhaltlos zu ihrer Herkunft und kann nunmehr ehrlich von ihrem Werdegang erzählen. Das Buch ist eine liebevolle Hommage an die Mutter und basiert auf der Grabrede, die die Autorin für ihre Mutter gehalten hat. Sehr authentisch wird über das Kölner Milieu erzählt, noch dazu häufig mit typischem Kölner Dialekt in den wörtlichen Reden. Interessant sind die Schilderungen über die unterschiedlichen gesellschaftlichen Klassen. Da Kindheitserinnerungen aufbereitet werden und Iris als Kind natürlich nicht alle Zusammenhänge des Lebens der Erwachsenen verstanden hat, bleibt einiges bruchstückhaft, aber dennoch so vollständig, dass der Leser selbst zutreffende Rückschlüsse auf die Begebenheiten ziehen kann.
Das Buch kann ich unbedingt empfehlen.