Ungwöhnlicher Thriller auf hohem Niveau

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REZENSION – Nach seinen Bestsellern „Endgültig“ (2016) und „Niemals“ (2017) hat der deutsche Schriftsteller, Dramatiker und Drehbuchautor Andreas Pflüger (62) nun mit „Geblendet“ seine Thriller-Trilogie um die erblindete Elitepolizistin Jenny Aaron in einem beeindruckenden Finale abgeschlossen. Dank ihrer herausragenden Fähigkeiten ist Aaron Mitglied der „Abteilung“, einer weltweit operierenden, geheimen deutschen Sondereinheit. Waren die beiden Vorgänger noch reine Thriller, wenn auch stilistisch herausragend und aus der ungewöhnlichen Perspektive einer blinden Heldin erzählt, wird dieser abschließende Band zu einem spannenden Psychodrama. Wir lernen die bisherige „Kampfmaschine“ Jenny Aaron als verletzlichen, auch an sich selbst zweifelnden Menschen kennen.
Wer die ersten Bände nicht kennt, sollte dies vor der Lektüre des dritten möglichst nachholen. Zwar kommt der Leser durch eingestreute Rückblenden und Erinnerungsfetzen stückweise der Vorgeschichte näher, die vor fünf Jahren zur Erblindung Jenny Aarons geführt hat, doch reicht dies allein nicht aus, die Charakterprägung der Heldin und ihr Verhältnis zu den anderen, nur männlichen Agenten in jeder Einzelheit zu erfassen, zumal in „Geblendet“ immer wieder auf Vergangenes Bezug genommen wird.
Fünf Jahre nach dem durch einen Anschlag erlittenen Verlust ihres Augenlichts, beginnt Jenny Aaron auf Rügen eine medizinische Behandlung, die ihr die Sehkraft vollständig zurückbringen soll. Erst nach langen inneren Kämpfen hatte sie sich dazu entschlossen, allerdings in dem Wissen, damit zugleich ihre bis ins Extrem verstärkten Gehör- und Geruchssinne wieder zu verlieren, mit deren Hilfe sie in den vergangenen Jahren „sehen“ gelernt hatte und dadurch bei Einsätzen ihren Kollegen gegenüber sogar Vorteile hatte. Die Therapie scheint bereits zu wirken, doch erste optische Eindrücke verwirren Aarons Sinne, überanstrengen und schwächen sie, machen sie letztlich verwundbar. Als ihre Abteilung bedroht, nach einem vernichtenden Bombenanschlag, den nur sechs Männer durch Zufall überstehen, fast vernichtet ist und sie selbst sich auf Rügen vom Feind beobachtet und bedroht fühlt, muss sich Aaron entscheiden – für sich selbst und die Wiederherstellung ihres Sehvermögens oder für ihre „Abteilung“ und weitere Blindheit.
Geblendet, verblendet, blind – Pflüger zeichnet in seinem ungewöhnlich gefühlsbetonten Thriller die Charaktere seiner Figuren psychologisch nachvollziehbar und in ihrer Unterschiedlichkeit interessant. Jeder sieht nur das, was er sehen will oder was man ihn zu erkennen antrainiert hat. So ist nicht nur Aarons Gegenspielerin Malin zeitweilig ebenfalls blind, sondern beide sind durch die einseitige stringente Erziehung der Väter derart verblendet, dass es einen ganzen Roman braucht, bis jede im Wust ihrer von Hass und Rache beherrschten Gefühle endlich die Wahrheit zu erkennen und den symbolhaften Spiegel, der doch nur die Oberflächlichkeit des eigenen Ichs zeigt, endlich zu zerbrechen vermag. Erst dann kommt beiden, so unterschiedlich sie auch sind, die Erkenntnis eines auf einer Lüge aufgebauten Lebens. Bis dahin durchlebt der Leser eine von Spannung getriebene Achterbahnfahrt der Gefühle, die sowohl stilistisch als auch in der Vollkommenheit erforderlicher Recherche beeindruckt und über alle 500 Seiten anhaltend begeistert. „Geblendet“ ist ein Thriller auf hohem Niveau, wie man ihn von deutschen Autoren nur selten findet.