Krass angefangen, krass nachgelassen!

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laberlili Avatar

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„Gehasst“ spielt sich innert weniger Tage ab, wobei die Geschehnisse hier fast schon einem Protokoll folgend (die Kapitel sind mit den jeweiligen Uhrzeiten betitelt; die Tagesangaben machen die einzelnen Teile des Romans aus, sind sozusagen Oberkapitel) erzählt werden.
Dabei wird die Handlung hauptsächlich von drei verschiedenen Perspektiven beleuchtet: Man bekommt von den Aktivitäten des Mörders berichtet, von der Polizeiarbeit erzählt, wobei in diesem Fall Franka Hahne fokussiert wird und weiterhin wird dargestellt, wie es bei der sich in einem Forum, in dem sich gleichgesinnte "Vampirzuseingläubige" zusammengesellen, tummelnden Rebecca just zugeht, die so noch in keinerlei Verbindung zum Ganzen zu stehen scheint, obschon es dem Leser relativ schnell klar sein wird, dass ihr hauptsächlicher "vampirischer" Internetkontakt mit den Mordfällen zu tun haben muss. In dieser Hinsicht weiß der Leser mehr als Polizei, obschon der Roman sonst dergestalt erzählt ist, dass man trotz der regelmässigen „Täterbeobachtungen“ eigentlich nie wirklich mehr weiß als die Polizisten bislang ermitteln konnten; über die Identität des Täters wird man bis gegen Schluss im Unklaren gelassen und tatsächlich gibt es auf dem Weg bis zu dessen Identifikation auch den ein oder anderen falschen Verdächtigen – und letztlich nochmals einen kleinen plot twist.

Als ich die Leseprobe bewertete, die den Anfang des Romans abbildete, erinnerte mich der Einstieg noch an ein typisches Festa-Verlagswerk: Denn hier wird man Zeuge des blutrünstigen Mords an Mandy und der wird tatsächlich sehr diffus, aber extrem irre, geschildert, so dass die Geschichte hier definitiv an einen der extremeren Splatterthriller erinnern konnte.
Dieser Eindruck verlor sich im weiteren Verlauf des Buchs aber sehr schnell und „Gehasst“ wurde in erster Linie zum gewöhnlichen Kriminalroman, dessen Bösewicht eben etwas ungewöhnlicher vorging. Das erzählerische Hauptaugenmerk liegt definitiv auf Franka Hahne und ihren Kollegen und diese eingangs gezeigte bildliche Brutalität wurde später nicht nochmals so auffällig dargestellt.
Für mich verlor sich mit dieser „Ruhe“, die im Vergleich zum Eingangsakt später einherging, auch ein wenig die Spannung der Geschichte; den Anfang, der noch nach absolut spannendem Psychothriller klang, fand ich wirklich stark, aber mehr und mehr wurde „Gehasst“ für mich zum typischen Provinzkrimi. Bei der Lesestange gehalten wurde ich allerdings von der Hoffnung, dass es doch nochmals so richtig böse werden würde und auch davon, dass ich wissen wollte, wer sich denn nun hinter dem Bösen verbarg, denn hier wurden doch einige halbwegs geschickt gelegte falsche Fährten gelegt. Meinte man grad, den Bösen identifiziert zu haben, fiel der als Täter bereits wieder aus dem Rennen.

Warum ich diese Fährten dennoch als nur „halbwegs geschickt gelegt“ empfand? Es lief einfach alles zu einfach ab: eigentlich wusste man gar nichts, aber die polizeilichen Ermittlungen schienen dennoch keine großen Herausforderungen zu beinhalten, zumal sich das Ganze ja innerhalb weniger Tage abspielte und der Fall im Verantwortungsbereich eines lokalen Polizeireviers lag – das dennoch wohl bessere Zugangsmöglichkeiten als jegliche Geheimdienste und der NSA hatte, auf einfach alles: Da telefoniert eine Person angeblich aus ihrer Wohnung heraus und schon am nächsten Tag ist die Bestätigung da, dass man das Telefonat nachverfolgen und das Handy so genau orten konnte, dass das Gespräch tatsächlich innerhalb der Wohnung geführt wurde. Da stellt man einen PC sicher und es dauerte auch nicht wirklich länger, bis man die IP eines Dritten, mit dem über diesen Rechner kommuniziert wurde, dem schon zweifelsfrei zugeordnet hatte. (Andererseits konnte man Mandy den Foren, in denen sie sich bewegt hatte, irgendwie hauptsächlich durch Fotos zuordnen, auf denen man ihr Tattoo erkannt hatte – natürlich hatte man sie aber sehr schnell beim Durchklicken der Bilder möglicher in Frage kommender Seiten ausfindig gemacht und war wohl erst gar nicht auf die Idee gekommen, das Ganze zunächst per Ortssuche einzugrenzen, denn die Ortsangabe der Nutzerin wurde als letztes Indiz genutzt.)
Klar können IPs zugeordnet werden, aber innerhalb so kurzer Zeit einen Gerichtsbeschluss erhalten, der die jeweiligen Provider zur Herausgabe der entsprechenden Nutzerdaten auffordert und ein Provider, der da offensichtlich innerhalb von, bildlich drastischer formuliert, drei Minuten antwortet?! Zudem hat der Besitzer besagten Rechners sicherlich nicht nur mit dieser einen Person darüber kommuniziert, das heisst, es müssten diverse IPs abgeglichen worden sein.

Kurios fand ich auch Folgendes: Der Besitzer des konfiszierten Rechners beklagt sich darüber, da dies doch sein Arbeitsgerät sei und wird daraufhin von den Ermittlern darauf hingewiesen, dass er doch bestimmt Sicherungskopien habe und noch ein Zweitgerät besitze, so dass er ganz regulär weiterarbeiten könnte!? Da fand ich nun wirklich irreal, dass nicht dessen gesamte Technik sichergestellt worden war, ganz so als ob er auf seinen anderen Geräten definitiv nichts Böses verbergen könnte.
Diesen Handlungsstrang fand ich wirklich hanebüchen, zumal er eigentlich ohnehin nur aufzeigen konnte, wer wen kannte oder eventuell kennen könnte (denn nur, weil ich dessen Onlineangebot nutze, kenne ich beispielsweise doch nicht gleich den Besitzer?!); eine in meinen Augen reichlich dünne Basis zur Mordaufklärung und in welchem Forum Mandy hauptsächlich ihre Kontakte suchte, war doch bekannt; das hätte man ja auch einfach so überprüfen können und wäre wohl auch nicht weniger weit gekommen.
Vor Allem störte mich aber dieser zeitliche Aspekt; hätte sich die Handlung über einige Wochen hinweggezogen: okay. Aber die Schnelligkeit, mit der hier die Ergebnisse eintrudelten, war für mich einfach völlig unglaubwürdig.

Zudem hätte ich mir wirklich gewünscht, dass der Mörder noch genauer dargestellt wird: er selbst gibt eingangs einen Hinweis darauf, dass er „nicht wieder“ im Knast landen möchte. Zum Schluss hin packt eine ihm vertraute Person völlig aus, erzählt ungefragt gleich dessen Biografie, aber da wird auch nur von einer früher begangenen Flucht vor dem Geschnapptwerden gesprochen; irgendwie ist mir nach wie vor nicht klar, ob er nun zumindest schonmal in U-Haft war oder anderweitig im normalen Vollzug eingesessen hatte. Ebenso irritiert bin ich ob der Tatsache, dass erwähnte Person plötzlich so freimütig plauderte.
Jedenfalls wurde der Mörder in seinem Wahn am Romananfang ja sehr klar gezeichnet, wirkte da noch wie ein intellektueller, raffinierter Psychopath, ähnlich Hannibal Lecter, gut, nicht ganz so schlau und durchtrieben, aber eben doch auch sehr manipulativ und sadistisch. Zum Schluss hin machte er eher den Eindruck eines armen Irren, der einfach nur komplett die Kontrolle verloren hatte. Diese Veränderung seiner Darstellung missfiel mir.

Eigentlich hatte ich den Roman direkt nach dem Lesen ja noch mit absolut durchschnittlichen drei Sternen bewerten wollen; der Anfang war wirklich krass und die Grundidee des „Vampirmörders“ fand und finde ich nach wie vor klasse, aber die weitere Ausarbeitung der Geschichte hat mich doch enttäuscht und letztlich habe ich beim Verfassen dieses Berichts gemerkt, dass mich grad dieses extrem Kurzfristige Spazieren von IP zu IP, was dann auch noch die Ermittlungen derart leichtgemacht haben soll, immer noch extrem anfuchst; für die Polizisten war das in dem Sinne eine komplett geschenkte Fallauflösung; so dass ich „Gehasst“ im Gesamtpaket einfach nicht gut fand und guten Gewissens persönlich nicht mehr als zwei Sterne vergeben kann.
Den Schreibstil Schmidts habe ich zwar sehr gemocht und mich auch nicht gelangweilt, ich würde auch weitere Krimis von Andreas Schmidt lesen (in der Hoffnung, dass die Fälle dort besser gesponnen sind), aber das Fallkonstrukt in „Gehasst“ war mir letztlich einfach zu linear und zu gewollt einfach für die Polizeiarbeit aufgebaut. Dies ist definitiv kein Roman, den ich auch nur halbherzig weiterempfehlen wollen würde!