Zwischen Grausamkeit und Poesie

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rippchen Avatar

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Regierung contra Terroristen: Dies ist der Hauptkonflikt in Großbritannien im Jahr 2054, der den geschichtlichen Hintergrund zu Teri Terrys Fiktion „Gelöscht“ bildet. Nach einer Bankenkrise distanziert sich die englische Regierung von der EU, schließt die Grenzen und schafft einen Überwachungsstaat. Anfänglich friedliche Studentenproteste als Reaktion darauf münden schließlich in handfeste Krawalle und Terroranschläge. Diesen gesellschaftspolitischen Problemen begegnete die Regierung mit einer ausgeklügelten Überwachungsmaschinerie. Die Kontrolle obliegt den „Lordern“ (law and order agents), die terroristische Angriffe vereiteln sollen.
Für ehemalige Verbrecher – und nicht nur für diese, wie sich im Verlauf des Buches herausstellt - wurde statt Bestrafung eine zweifelhaften Methode entwickelt: Die Chance auf ein zweites Leben durch „Slating“, ein Verfahren, das durch die Vernichtung der Hirnsynapsen ein neues Leben ohne Erinnerung ermöglicht. Dem absoluten Neuanfang im Leben jener Menschen geht somit die Auslöschung sämtlicher früherer Erinnerungen und damit der gesamten ehemaligen Persönlichkeit voraus.
Gesteuert werden die Slater durch einen Chip im Gehirn: Das sogenannte „Levo“ reagiert auf extreme Gefühle seines Trägers. Besonders bei gewalttätigen Impulsen schaltet es sich üblicherweise komplett aus und kann bis zum Tod seines Trägers führen.
Doch nicht bei allen geslateten Personen hat diese Methode Erfolg: Bei der Protagonistin Kyla etwa reagiert das Levo völlig unüblich – und auch ihre Erinnerungen konnten nicht vollkommen beseitigt werden. Überhaupt unterscheidet sie sich in manchen Belangen von anderen Slatern - und gerade deshalb hängt ihr „neues Leben“ immer wieder am seidenen Faden.
Einen Gleichgesinnten trifft sie in Ben, ebenfalls ein Slater mit eigenen Gedanken und Vorstellungen, die er letztendlich zielstrebig verfolgt: Er will frei sein, ein Leben ohne Levo führen. Die Konsequenzen dessen werden wohl in den folgenden Bänden der als Trilogie angelegten Fiktion zu lesen sein.
In dem vielversprechenden ersten Band nimmt das fast schon erschreckend unterhaltsame Geschehen um eine von der Regierung angeordnete Gehirnmanipulation „gesellschaftsgefährdender Personen“ rasch an Fahrt auf.
Auf einem schmalen Grat zwischen Grausamkeit und Poesie verquickt Autorin Teri Terry die gut strukturierte Handlung, die gezielt angeordneten Personenkonstellationen und die unverwechselbaren Charaktere der Hauptakteure feinfühlig miteinander. Zudem setzt sie Schicksalsschläge und unverhoffte Wendungen literarisch ebenso geschickt ein wie menschlich bewegende Emotionen jeglicher Art.
Grundsätzlich ein - auch stilistisch - perfekt inszenierter Einstieg in eine bestürzend realistisch wirkende Fiktion, die auch in den kommenden Bänden ihre (nicht nur junge) Leserschaft zweifellos fesseln wird.