Brillant

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Nur selten passiert es mir bei einem Buch, dass ich es möglichst langsam lese, weil ich nicht will, dass die Geschichte zu Ende ist. Bei Lydia Sandgrens imposanten Erstlingswerk war dies so, wobei mir das Lesevergnügen bei knapp unter 900 Seiten doch relativ lange erhalten geblieben ist.
Hauptfigur des Romans ist der Göteborger Verleger Martin Berg, der in einer Lebenskrise steckt. Seine Frau Cecilia ist vor einigen Jahren spurlos verschwunden und hat ihn mit den Kindern Rakel und Elis alleine gelassen, sein Freund, der bekannte Künstler Gustav Becker, meldet sich kaum noch und auch für seinen Verlag Berg & Andrén sieht die Zukunft alles andere als rosig aus. Währenddessen schlägt sich seine Tochter Rakel mit ganz anderen Problemen herum: in einer Romanfigur eines deutschen Schriftstellers glaubt sie, ihre verschwundene Mutter wiederzuerkennen und begibt sich auf eine Spurensuche, die sie unter anderem nach Paris und Berlin führt.
Durch Rückblenden in Martin Bergs Jugendzeit erfährt man, wie er überhaupt in die jetzige Situation kam und welche Ereignisse zum Verschwinden seiner Frau geführt haben. Man taucht ein in die Göteborger Intellektuellenszene und in die Pariser Bohème der 80er Jahre, erlebt eine Jugendzeit mit, in der Kultur und Wissen eine große Rolle spielen, in der es keine große Rolle spielt, ob und wie man damit später sein Geld verdienen kann. Stück für Stück wird auch die komplizierte Beziehung zu seinen Kindern offenbar und gegen Ende wird immer deutlicher, warum Rakel unbedingt Licht ins Dunkel der Familiengeschichte bringen will. Auch die on-off Freundschaft zu Gustav Becker wird eingehend beleuchtet und zeigt das Leben eines Künstlers in allen Facetten.
Wie schon erwähnt war das Lesen für mich ein Hochgenuss, ich konnte so richtig tief in die Geschichte eintauchen. Lydia Sandgrens Schreibstil ist sehr flüssig, differenziert und intensiv und die Themen, die im Roman auftauchen, werden psychologisch subtil beschrieben. Wie auch im Umschlagtext schon erwähnt, erinnert der Stil ein bisschen an Donna Tartt. Zahlreiche Bezüge zu Literatur und Musik, Kunst und Zeitgeist machen die Lektüre greifbar und abwechslungsreich.
Manch einer mag vielleicht das offene Ende bemängeln, aber ich finde, gerade dies macht den Roman aus; so bleibt viel Raum für eigene Interpretationen und regt zum Nachdenken an.
Ein weiteres Highlight für mich in diesem Jahr und sehr empfehlenswert für alle Liebhaber von Sprache und Literatur.