Dick, schwer, wunderbar

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
gkw Avatar

Von

Wenn man bei einem Buch, das 1 kg wiegt, 6,6 cm dick ist und 874 Seiten hat, am Schluss bedauert, dass es schon vorbei ist, dann sagt das eigentlich schon genug aus.
-----------------------------------------------------------------
Martin führt mit einem Freund einen Verlag in Göteborg, der in einer Krise steckt. Er ist 50, seine Tochter erwachsen, sein Sohn wird auch bald die Schule beenden und seiner Wege ziehen. Seine Frau Cecilia hat ihn vor vielen Jahren aus heiterem Himmel verlassen , sie hat sich nie mehr gemeldet. Der Kontakt zu seinem besten Freund, dem berühmten Maler Gustav Becker, ist weitgehend eingeschlafen. Sein großer Traum ein namhafter Schriftsteller zu werden, hat sich nicht erfüllt und wird sich wahrscheinlich auch nicht mehr erfüllen.
Er umgibt sich mit den Fragmenten seiner schriftstellerischen Versuche und taucht ein in seine Vergangenheit. Währenddessen hat seine Tochter Rakel den Verdacht, dass der Roman, den sie liest, von ihrer Mutter handelt, da will sie natürlich nachforschen.
-------------------------------------
Lydia Sandgren ist Psychologin und lebt in Göteborg. An diesem Debütroman hat sie 10 Jahre gearbeitet. Das merkt man dem Roman an: die Psychologin und auch die zehn Jahre. Der Roman hat den schwedischen August-Preis erhalten. Zu recht.

Seit langem mal wieder ein Buch, in dem ich alle Personen mochte. Dank der Seitenzahl werden uns die Menschen natürlich gründlich mit all ihren Facetten vorgestellt. Alles ist intensiv und ausführlich beschrieben, wir sind sehr nah dran und leben die Studienzeit und Auslandsaufenthalte quasi mit.
Martin ist die zentrale Figur des Buches. Mit Rückblicken wird sein gesamtes Leben aufgerollt. Wir begleiten ihn durch Schulzeit, Jugend, Studienzeit, als jungen Familienvater, Verlagsgründer,...,
Zusätzlich eingestreut sind Interviewteile, in denen Martin seinen Weg zur Literatur beschreibt und die Bedeutung, die sie für ihn hat.
Er macht vieles richtig, er macht vieles falsch, er ist uns als Mensch mit seinen Gedanken und Gefühlen sehr nah. Er hat viel geschrieben, aber letztlich hat es nur zu einer einzigen Veröffentlichung in einer Anthologie gereicht. Sein Leben lang hat er immer versucht, den großen Roman zu schreiben, und sich immer wieder davor gedrückt.

Durch die Rückblenden in Martins Lebensabschnitte ist auch seine Frau Cecilia sehr präsent. Kurz nach Abschluss ihrer Doktorarbeit verschwand sie mit 33 Jahren. Der Sohn Elis war damals zwei, die Tochter Rakel sieben. Durch Rakels Nachforschungen kommt ein zusätzlicher Spannungsbogen in den Roman.

Alle Personen sind sympathisch und intelligent, keiner gestört (was ja langsam zur Ausnahme in der Literatur wird). Aber natürlich hat jeder Eigenheiten. Sie sind alle authentisch und nachvollziehbar vorgestellt.
Auch die Schauplätze und zeitlichen Bezüge werden sehr detailliert beschrieben, so dass man atmosphärisch dabei ist. Zahlreiche Anspielungen auf Personen und Ereignisse in Literatur und Popkultur schaffen zusätzlich Stimmung. Auch humorvolle Szenen sind eingearbeitet.

Das Ganze ist eine großartige Familiensaga, die uns in die Welt der Kunst und Literatur führt. Die Liebe zur Sprache und Literatur, zum Schreiben und Lesen klingt auf fast jeder Seite durch.
Es ist ein Buch über Freundschaft, Familie und Liebe, aber auch ein Buch über das Sich-selbst-belügen.

Das Buch eignet sich für alle, die Bücher und das Lesen lieben und keine Angst vor dem Umfang des Romanes haben.

Trotz der vielen Seiten war es kurzweilig. Ich würde mich freuen, wenn es keine zehn Jahre bis zum nächsten Buch dauert. Wenn die zehn Jahre aber erforderlich sind, um so großartig zu schreiben, dann warte ich gerne.
Manche Frage ist für mich offen und unbeantwortet geblieben, aber ich werde es früher oder später wieder lesen und vielleicht kann ich es für mich klären.