Der Künstler als Produkt seiner Szene

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annajo Avatar

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Leo Becker hat großes Glück. Er ist erfolgreich, begehrt und darf seine Werke im Metropolitan Museum of Art in New York ausstellen. Doch Leo kann sich nicht freuen. Für ihn bedeutet dieser Auftrag, in neun Monaten zwölf exklusive Bilder produzieren zu müssen; in einer Zeit voller Selbstzweifel, Freiheitsdrang und Ehekrise. Bis zuletzt arbeitet er zwischen Parties, Vernissagen, Alkohol- und Drogenexzessen fieberhaft. Doch scheint es so, als könne er die bestellten Bilder nicht rechtzeitig fertig stellen. Gleichzeitig verabscheut er seinen Galeristen für den Druck, unter den dieser ihn setzt, und seine eigene Ehefrau, von der er sich entfremdet hat und die bei anderen Männern nach Liebe sucht. Immer mehr obsessiert er über die verlorene große Liebe aus früheren Zeiten.

Louise Jacobs hat sich laut Klappentext für ihre Recherchen selbst ein Jahr lang in der Kunstszene bewegt und dieses Hintergrundwissen merkt man dem Roman an und macht ihn authentisch. Man hat nicht das Gefühl, da würde jemand über etwas schreiben, von dem er keine Ahnung hat. Möglicherweise sind die Fachkenntnisse jedoch teilweise überfrachtend und fordern dem Leser entweder einiges an Geduld oder einiges an Interesse und Vorwissen ab. Dies hilft jedoch, sich auf die Geschichte und die Rahmenbedingungen einzulassen. Jacobs scheint sich zudem intensive Gedanken über die Motive von Leos Bildern gemacht zu haben, sodass von diesen nicht abstrakt berichtet wird, sondern sogar winzige Details beschrieben werden. Teilweise distanziert schildert Jacobs die Geschichten und Sichtweisen der einzelnen Charaktere und dieser Stil wirkt wie eine Studie der einzelnen Personen; so wie auch Leo seine Objekte studiert, bevor er sie malt.
Jacobs schildert sehr überzeugend eine an der Oberfläche verhaftete Gesellschaft, die den Künstler nicht mehr als ihr Mitglied, sondern nur noch als ihr Objekt betrachtet, das einen Tag in den Himmel gelobt und den nächsten Tag zu Fall gebracht werden kann, das jahrelang keine weiteren Bilder malen darf, um den Wert der vorangegangen nicht zu schmälern. Leo verkommt zu einem Auftragsmaler, der sich selbst verliert und dies an seiner Umwelt auslässt.
Für den ein oder anderen Leser mag Jacobs Roman zu klischeelastig sein. Ich fand ihn jedoch interessant und eine gelungene (Einzelfall-!)Studie der verschiedenen heutigen Szenen (Kunstszene, Filmszene, Partyszene, etc.) und dem, was sie den Menschen in ihnen antun und was diese nach dem ersten Rausch zu vermissen beginnen. Denn das alles scheint nicht echt zu sein. Dabei muss man sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass Jacobs einen Einzelfall schildert und nicht über die gesamte Kunst verallgemeinert. Hätte sie sich zum Anspruch gemacht, ein wahres Bild der heutigen Kunstszenen mit und ohne seine Extremfälle zu schreiben, hätte die Autorin ein Sachbuch geschrieben.
Ich persönlich finde "Gesellschaftsspiele" gut gelungen und konnte - so deprimierend es manchmal war - Leos Leere sehr gut nachfühlen, da der Schreibstil der Autorin sehr eingängig und detailverliebt ist. Zudem bietet die Autorin keine unrealistische Auflösung der Geschichte. Für mich hat sich das Lesen also durchaus gelohnt, wenngleich dieses Buch keines ist, dass sich einfach mal schnell "wegliest".