Die Geister, die ich rief...

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Die Leseprobe hatte ich zwiespältig aufgenommen, aber der ganze Roman war dann doch etwas Anderes, Besseres. 

Zum Inhalt: Die letzten Monate des berühmten Künstlers Leo Becker, der zu Beginn des Buches zu Grabe getragen wird. Dabei geht Louise Jacobs besonders auf seine Beziehungen zu zwei Frauen ein: Seine Ehefrau und seine frühere Freundin, die er zufällig bei seiner Geburtstagsfeier wiedertrifft. Des Weiteren wird die Welt der Kunst und der sich in ihr bewegenden Menschen beleuchtet: Künstler, Kritiker, Käufer und Galeristen.

Zur Aufmachung: Ein plüschiges Sofa im Gelsenkirchener Barock vor einer Wand - was das mit dem Inhalt des Buches zu tun hat, erschließt sich mir nicht. Die Farbgebung (rötlich Ton in Ton) gefällt mir.

Mein Eindruck: Besonders hat mir gefallen, wie die Charaktere der Hauptpersonen analysiert wurden. Gewann man zuerst noch den Eindruck, dass Leo der arme, von allen drangsalierte Künstler ist, der eigentlich "nur malen" will, zusätzlich von seiner Frau betrogen und von seiner Umwelt missverstanden wird, ergibt sich schnell ein differenzierteres Bild. Leo jammert zwar darüber, dass seine Umwelt ihn nicht versteht und nur benutzt, handelt aber selbst nicht anders: Er benutzte seine Frau, um mit den Gemälden von ihr und ihrer Kenntnis des Kunstgeschäfts groß zu werden, wirft sie aber direkt mit seiner großen Ausstellung in New York auf die Müllhalde. Erst jammert er, dass er nicht schnell genug produzieren kann, weil ihn der Termin lähmt, dann jammert er, dass er nach der Ausstellung besser nicht produzieren sollte (was ihm eigentlich keiner verbieten kann). Einerseits will er Erfolg und Ruhm, andererseits seine Ruhe. Mich persönlich wundert, dass es seine Frau überhaupt so lange mit diesem egozentrischen Ekelpaket ausgehalten hat und dass Ebba noch einmal mit ihm Kontakt aufnimmt - sie sollte es nach dem ersten Desaster besser wissen.

Alles in allem liest sich "Gesellschaftspiele" ein wenig wie der Zauberlehrling - erst tut man alles für den Erfolg, dann fühlt man sich von seinen Begleiterscheinungen erstickt. Aber, wie heißt es doch so schön: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass - das funktioniert in den seltensten Fällen.

Fazit: Ein für mich gelungenes Buch von Louise Jacobs mit sehr ausführlichen Schilderungen der inneren Konflikte der Hauptpersonen, leider ein bisschen zu wenig Äußerlichkeiten (kaum Beschreibung der Personen) und etwas zu willkürlich auftretende Nebenpersonen, die ich mir dadurch nur schwer vorstellen konnte. Diese Kleinigkeiten trübten meinen Lesegenuss jedoch nur am Rande.