Meer aus Tränen

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Der deutsch-türkisch-armenische Komponist Marc Sinan hat sein gelungenes schriftstellerisches Debüt „Gleißendes Licht“ abgeliefert – das den gleichen Namen wie sein außergewöhnliches musikalisches Erinnerungsprojekt trägt, das ebenso tiefgreifende Themen wie Schuld, Rache, Vergebung und Vergangenheitsbewältigung behandelt. Sinans innerlich stark getriebener Protagonist Kaan mit teils autobiografischen Zügen des Autors muss sich erst tief seinem familiären, transgenerationalen Traumata stellen, bis für ihn wieder gleißendes Licht scheint.

Mit vielen Sprüngen zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen München und Bosporus zeichnet Marc Sinan ein dichtes, feinfühliges und bewegendes Bild einer zerrissenen Familie und zeigt eindringlich, wie der Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich, denen auch Kaans Urgroßeltern zum Opfer gefallen sind, sich noch Jahrzehnte später unterbewusst und schmerzhaft auf die weiteren Generationen ausprägt.

Der Leser begleitet Kaan beim Erwachsenwerden in der Nähe von München, bei seinen Besuchen bei den Großeltern am Schwarzen Meer und gleichzeitig zeichnet Sinan den bewegenden Lebensweg von seinem Dede Hüseyin, seiner Anneanne Vahide und teils dem armenischen Komponisten Komitas Vardapet nach. Seine ehrgeizige Mutter Nur (übersetzt „gleißendes Licht“) tut alles, dass es dem Sohn gut geht, doch auch als mittlerweile erfolgreicher Gitarrist plagen den egozentrischen, ruhelosen Kaan tief im Innern dunkle, unverarbeitete Emotionen, die ihm am Ende auch die Beziehung zu seiner großen Liebe kosten und zu Rachegelüsten an den türkischen Präsidenten verleiten.

„Gleißendes Licht“ ist ein sehr leidenschaftlicher, moderner und sinnlicher Roman, der neben den vielen Zeitsprüngen mit einer musikalisch-kreativen Sprache und vielen mythologischen Anspielungen aufwartet. Immer wieder blitzt das Schwarze Meer als unendliche Flüssigkeit auf, in der die Wahrheit liegen kann, oder eine Pottwälin, deren Vorfahren Zeitzeugen des Völkermords waren – wie einst Hüseyin, der am Ende mit einem Walfangboot auf dem Meer alles verliert. Sinan setzt kaleidoskopartig auf eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, von Opfern und Tätern, auf eine Verständigung und am Ende auf eine Heilung von alten Wunden und Traumata.

Das geschieht in seinem mit Selbstironie durchzogenen und beeindruckenden Debüt unterhaltsam, fantasiereich und mit jeder Menge Seitensträngen – und auch wenn manches sprachlich vielleicht etwas zu dick aufgetragen ist, beweist Sinan sein schriftstellerisches Komponieren und sein Engagement für eine bedeutungsvolle Erinnerungskultur gegen das Vergessen von Gräueltaten und Kriegsverbrechen, aber auch anderen Gewalttaten in der heutigen Zeit.