berührend

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Selten hat mich ein Roman so gepackt, wie dieser!

"Goodbye Bukarest" von Astrid Seeberger erzählt von der Suche nach dem Onkel der Autorin.
Erst nach dem Tod der mutter, mit der sie lange Zeit keinen Kontakt hatte und die im alter völlig vereinsamte, erfährt die Autorin, dass ihr Onkel nicht wie früher behauptet im Krieg umkam, sondern dass er sich von der Familie abgewendet hatte und nach dem Krieg nicht mehr zurückkehrte.
Offenbar hatte die Mutter lange Jahre vergeblich versucht, ihren Bruder zu finden, und die Wahrscheinlichkeit, dass er mit fast einhundert Lebensjahren noch lebt, ist nahezu null, aber die Autorin begibt sich auf die Suche.

Mit ihrer ruhigen, neutralen Art berichtet sie ihre Etappen, die Erzählungen der Menschen, die sie trifft, deren Schicksalswege und deren Leben.

Ich wollte das buch lesen, weil ich meinen Opa im Krieg zur etwa gleichen Zeit verlor, ebenfalls in Russland. Er wurde vermisst gemeldet und niemals gefunden.
Mich hat schon als kleines Kind die Vorstellung beschäftigt, dass er vielleicht im Exil lebe, entstellt, ohne Erinnerung.
Meine Oma musste alleine viele Kinder durchbringen, es gab weder Zeit, Geld, noch Möglichkeit, nach ihm zu forschen. Auch als die Kinder erwachsen waren, fragte niemand nach.

Was soll ich sagen? Ich habe die Zeilen der Autorin inhaliert, Stunden in der Nacht gelesen. Alleine die Beschreibung der damaligen Situation im Krieg, die Witterung, die Aussichtslosigkeit, dieser Irrsinn!
Die Aufenthalte im Straflager, der Hunger, diese unmenschlichen Zustände. Ich konnte nicht aufhören zu lesen.
Die Autorin folgt den Spuren des Onkels, die auch die Mutter schon nach Rumänien führten, und der Leser erhält Einblick in die Politik und das Leben in diesem so wunderschönen Land, in dem die Menschen vom eigenen Staat missbraucht und verfolgt wurden.
Ich mag solche Bücher, die mir Politik und Geschichte auf einer sehr alltäglichen, menschlichen Ebene begegnen und ich staune immer wieder, wie unsere direkten Vorfahren mit einem unfassbaren psychologischen Druck so viel Mut zu Widerstand und Leben aufbringen konnten.
Niemand fragte nach Trauma oder gar posttraumatischen Belastungsstörung, den Menschen ging es schlecht, aber sie hatten weiterzuleben, in jahrelanger und immer wiederkehrender Angst, Flucht und Hoffnungslosigkeit.
Woher nahmen sie die Kraft? Wie kann man solche Torturen überleben?
"Goodbye Bukarest" hat mich berührt wie schon lange kein anderes Buch, vielleicht auch, weil die Autorin selbst nichts kommentiert, nur erzählt.
Ich persönlich bin sehr froh, dass ich dieses Buch gelesen habe.