Eine Suche - Reise ins Ungewissen

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gerwine ogbuagu Avatar

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„Pray when you are returned to the world, and rested from the long journey”.
Dante Alighieri

Den Bruder ihrer Mutter will die Erzählerin finden, ihren Onkel, von dem sie nichts weiß, als dass er in Stalingrad umgekommen sein soll. Sie glaubt es nicht und tut alles, um irgendeinen Menschen zu finden, der ihren Onkel Bruno kannte. Sie findet diesen Menschen, einen Mann, in Berlin und mit seiner Geschichte beginnen sich die Fäden des Rätsels um Bruno zu entwirren. Die Auflösung dauert von April bis Oktober eines Jahres. Wir erfahren die Irrungen und Wirrungen von Menschen, die nichts gegen ihr Schicksal tun konnten, ihm ausgeliefert waren.
Eine einzigartige Geschichte auf den Spuren Brunos und derer, die er trifft und auf der Lebensreise begleitet, entfaltet sich. Eine Geschichte, die uns ab der ersten Seite fesselt. Die einfühlsame Liebesgeschichte der Erzählerin umrahmt alle weiteren Ereignisse, durch die wir in Rückblenden geführt werden. Eine Geschichte, die schon nach wenigen Seiten berührt und sich in den Gedanken einnistet mit dem Wunsch, sie weiter zu lesen und zu erfahren, was noch alles kommt. Es sind Geschichten ähnlich einer Odyssee. Nicht nur durch Länder und Städte sondern auch durch bewegte politische Zeiten – Kriege, jahrelange Gefangennahme wandern die Protagonisten. Von Russland in den dreißiger Jahren und danach und wie es Menschen erging in den Fängen des Staates lesen wir. Das Leben im Arbeitslager in Kasachstan geleitet von der eisernen Hand eines Stalin Regimes knüppelt selbst die Stärksten nieder, jedoch vermeintlich Schwache überleben sogar diesen unbeschreiblichen, kräftezehrenden Terror.
Seeberger schreibt wahrhaftig in einer poetischen und gleichzeitig realistischen Sprache. Ihre Gedanken und wahren Worte, wie zum Beispiel über das Wiedererkennen, faszinieren. Die Geschichte ist voller erstaunlicher, ungewöhnlicher, auch zutiefst erschütternder Wendungen betreffend menschliche Schicksale und die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Berührende Passagen wechseln ab mit melancholischen, das Spektrum der menschlichen Möglichkeiten vom höchsten Glück zum tiefsten Abgrund breitet Seeberger vor uns aus – wider das Vergessen…
Durch alle Grausamkeiten, die den Charakteren auferlegt werden, hilft ihnen Liebe in der größten Düsternis – im Arbeitslager sind es Liebe, Musik, Hinwendung zur Schönheit der Natur und zu unschuldigen Kreaturen, wie die Kühe, deren Obhut und Pflege den Häftlingen anvertraut ist. Wie hier beschrieben: “Bruno und Dmitri waren beim Melken, als das Konzert einsetzte. Die Musik drang durch die Stallwände. Man konnte meinen, auf dem Grund eines unendlich tiefen Brunnens zu sitzen, während oben musiziert wurde…“.
Immer wieder sind es gerade Menschen, die bereits vom Leben gebeutelt sind, die sich anderer, ebenfalls Leidender, annehmen, die ihnen begegnen.
Es fehlen die Worte, darüber zu sprechen und - noch viel mehr - zu verstehen, wie Menschenmassen sich von Psychopathen haben verleiten lassen, ihnen zu folgen und nicht hinzuschauen, wie das Leben von Familien zerstört wird durch deren Willkür.
Am Schluss, als die Erzählerin wieder mit ihrem Liebsten vereint ist, sprechen sie über Paul Klees Zeichnung Angelus Novus über den Walter Benjamin schrieb, „dass dieser Engel aussieht, als stehe er im Begriff, vor dem was er anstarrt, die Flucht zu ergreifen…Genau so musste der Engel der Geschichte aussehen, dass Gesicht der Vergangenheit zugewandt…Doch ein Sturmwind bläst aus dem Paradies, ein Wind, so stark, dass der Engel seine Flügel nicht zu schließen vermag, ein Sturm, der ihn unaufhaltsam in die Zukunft weitertreibt.“
Astrid Seebergers Erzählweise und das, was sie zu sagen hat, berührt unser Inneres. Diese Geschichte ist kunstvoll komponiert ähnlich einer Rhapsodie. Über viele menschliche Schicksale lesen wir, die alle miteinander zusammenhängen. Sie sind so geschrieben, so dicht, so poetisch und ruhig, dabei spannend, dass sie uns nicht loslassen, selbst nach Beenden des Buches.