Ein raues Buch wie die Landschaft Irlands

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Das melancholisch-minimalistisch gehaltene Cover von Paul Lynchs Roman "Grace" hat mich dazu bewegt, mehr lesen zu wollen. Es lässt schon erahnen, dass dieses Buch keine leichte Kost sein wird.

Von Anfang haben mich die tief treffenden, eindrücklichen Bilder mitgerissen, mit denen der Autor ein Land beschreibt, das von Hunger, Angst und Aberglaube geprägt ist. Inmitten dessen steht die junge Frau Grace, die sich als Junge verkleidet durch die Grobheit ihrer Zeit schlagen muss, um sich in der Welt zu behaupten und nicht zu verhungern.

In allem Leid schimmert doch immer wieder das Schöne, das Tröstliche hindurch. "Die Tage werden kürzer, und die ferne Sonne spielt mit dem Mond Bruder und Schwester. Grace wandert weiter nach Süden oder sitzt an manchen Tagen auch einfach nur da, und die Welt hat kein Maß, und Sonne und Mond zeigern zeitlos um sie herum. Einmal im frühen Morgengrauen wacht sie auf und sieht, wie im Norden ein Schauer von Feuerkugeln den Himmel erhellt. Jeder einzelne Stern zwinkert aus dem schrankenlosen Dunkel und fällt lautlos einen kurzen grellen Augenblick. Der Eindruck einer solchen Schönheit lässt sie im Innersten erschaudern."

Das ist nur eine von vielen Stellen, an denen mich der einfühlsame Schreibstil des Autors zutiefst gefesselt hat und für den ich letztendlich die drei Sterne vergebe.

Allerdings gibt es meiner Meinung nach auch Stolpersteine, die mir das Lesen schwerer gemacht haben als vielleicht nötig gewesen wäre. Die fehlenden Anführungszeichen bei der wörtlichen Rede mögen zwar ein weitgehend akzeptiertes Stilmittel sein, mich persönlich stört dieses jedoch enorm im Lesefluss.

Ein weiterer Kritikpunkt ist für mich die Handlung, welche nur schleppend vorangeht. Vielleicht mag darin auch eine Art Kunstgriff des Autors liegen und er wollte die Öde und Wildnis des von Hungersnot geprägten Landes stilistisch unterstreichen. Andauernd derbe Sprache und kleine wie große Grausamkeiten. In Bezug auf den Klappentext hätte mir wahrscheinlich bewusst sein sollen, was mich erwarten würde. Die Geschichte lebt nun mal von ihrer nüchternen Grausamkeit, die das "wahre Leben" in Irland Mitte des 19. Jahrhunderts vermutlich geprägt hat. Der Autor ist bezüglich der Beschreibungen dieser Grausamkeit ein Meister - meinen Geschmack trifft er damit jedoch leider nicht unbedingt.