Man darf nicht vergessen

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buecherfan.wit Avatar

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In ihrem Roman “Häuser aus Sand“ erzählt die palästinensisch-amerikanische Autorin Hala Alyan die Geschichte der Palästinenser-Familie Yacoub über vier Generationen, beginnend im Jahr 1963 mit der Großmutter Salma. Sie lebt seit fünfzehn Jahren in Nablus im Westjordanland, nachdem sie ihre geliebten Orangenhaine in Jaffa aufgeben musste. Sie hat drei Kinder. Der Sohn Mustafa stirbt 1967 im Sechstagekrieg. Die Tochter Alia heiratet Mustafas besten Freund Atef. Alia ist die zentrale Figur dieses Romans, zunächst als Tochter, dann als Mutter, schließlich als Großmutter der vierten Generation. Als die Familie in Nablus nicht mehr sicher ist, gehen Alia und Atef in das ungeliebte glühend heiße Kuweit. Dort lebt auch die älteste Schwester Riham mit ihrem Mann. Salma und zahlreiche Verwandte und Freunde von früher sind nach Amman in Jordanien gezogen, wo Alia sie öfter besucht. Als sie auch Kuweit verlassen müssen, ziehen sie in ihre Wohnungen in Beirut. Ihre Kinder leben in Paris, in den USA und schließlich auch im Libanon.
Erzählt wird diese Familiengeschichte chronologisch mit kapitelweise wechselnder Perspektive von 1963 bis 2014. Ein Stammbaum zu Beginn des Romans hilft dem Leser, nicht die Orientierung zu verlieren. Vertreibung und Entwurzelung sind die großen Themen des Buches. Die Yacoubs verlieren ihr Land und ein Haus nach dem anderen. Nichts ist von Dauer, es gibt keine Garantie, für nichts. Die Autorin durchbricht insofern den Erwartungshorizont des Lesers, als es hier nicht um halbverhungerte, ständig vom Tod bedrohte Lagerbewohner geht, sondern um eine gut situierte Familie der oberen Mittelschicht, die, auch wenn sie immer wieder ihr Haus und ihr Land verliert, über genügend finanzielle Reserven verfügt, um sich anderswo eine neue Existenz aufzubauen. Dennoch bleibt der Verlust der Heimat eine schmerzliche Erfahrung, die sie alle prägt. Sie versuchen, in der Erinnerung zu bewahren, was sie verloren haben. Dabei kann die Sehnsucht nach Vergangenem so zerstörerisch wirken wie eine Krankheit. Die alte Salma gibt ihren Kindern ihre Überzeugung “Man darf nie vergessen.“ (S. 181) mit auf den Weg. Das Leben kümmert sich nicht um das Schicksal des Einzelnen: “Es geht einfach weiter“ (S. 343).
Mir hat dieser auch sprachlich hervorragende Roman gut gefallen. Man kann ihn als Familiensaga lesen oder den Blick auf die traumatische Erfahrung der permanenten Entwurzelung richten. Alyans Roman ist ein beeindruckendes Beispiel von Migrantenliteratur und damit in jeder Hinsicht brandaktuell.