Spannendes Portrait

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gmuenzel@gmx.de Avatar

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Florian Zinnecker hat Igor Levit ein Jahr lang immer wieder begleitet und ein Buch über ihn geschrieben. Dass Levit selbst als Autor vor dem Journalisten genannt wird, hat wohl eher Marketing-Gründe. Dass es das Corona-Jahr 2020 wurde, war vorher nicht geplant, macht die Sache aber noch spannender - der Titel verweist auf die berühmt gewordenen Hauskonzerte, die Levit im ersten Lockdown über Twitter und Instagram gestreamt hat.
Zinnecker hat keine klassische, chronologische Biographie des Pianisten geschrieben, sondern nähert sich immer wieder aus verschiedenen Perspektiven seinem Protagonisten. Mal als Gesprächsprotokoll, dann kurze Anekdoten, dann wieder direkte Aussagen Levits, scheinbar willkürlich in den Zeiten hin- und herspringend. Er macht auch die Form selbst zum Thema des Buches und will vielleicht darüber die Zerrissenheit des Menschen Levit dokumentieren. Manchmal ist es fast wie Twitter in Buchform, eine passende Art den manischen Twitterer Levit zu beschreiben, auch wenn es etwas zu Lasten des Leseflusses geht.
So entsteht ein schlüssiges und spannendes Portrait eines hochinteressanten Musikers und Menschen. Wir erfahren - letztlich wie in einer herkömmlichen Künstlerbiografie auch - viel über Levits Werdegang, seine Triumphe, seine Niederlagen, seine Förderer und Feinde und eben auch über seinen politischen Aktivismus, ein weiterer Schwerpunkt des Buches. Diese zwei Seiten des Menschen Levit, den Künstler und den Aktivisten, und ihre Interdependezen versucht Zinnecker zu ergründen. Dass ihm das letztlich nicht gelingt, macht gar nichts, es entsteht für mich der Eindruck, dass Levit selbst sich da über Vieles noch nicht im Klaren ist. Er widerspricht sich immer mal wieder selbst, aber das mit großem Nachdruck und viel Humor und bleibt dabei immer "a Mensch".
Vieles werden Menschen, die Igor Levit schon länger verfolgen, kennen - aus Feuilletons, Interviews und Podcasts. Hier ist es noch einmal schön zusammengebracht und manchmal hört man die prägnante Stimme Levits regelrecht aus dem Buch ertönen.
Höhepunkte waren für mich die Beschreibung der Vexations-Aktion und der Kontroverse mit dem SZ-Kritiker Mauró. Besonders beim zweiten Thema kommen die Leser Levit sehr nahe und seine Sicht auf diesen Vorgang war für mich auch wirklich neu.
Und: Zinnecker kann wunderbar über Musik schreiben! Die Schilderung von Levits Spiel der Waldsteinsonate in der Elbphilharmonie ist einfach großartig.