Verlier vor lauter Alltag dein großes Glück nicht aus den Augen

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leseschneckchen555 Avatar

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Lena ist gestresst. Die Kinder, der Haushalt, ihr Vollzeitjob in leitender Position. Hat sie sich mit der Entscheidung Beruf und Kinder unter einen Hut zu bekommen zu viel zugemutet? Wer möchte sich schon eingestehen, dass alles zusammen nicht zu meistern ist? Lenas Körper aber spricht eine andere Sprache. Ihr Rücken macht ihr immer mehr zu schaffen. Deshalb schenkt ihre Schwester Judith ihr zum Geburtstag einen Yoga Kurs. Auch wenn Lena damit erst überhaupt nichts anfangen kann, beschließt sie, einen Versuch zu starten. Denn nur der Kurs ist eine Möglichkeit die ständigen Rückenschmerzen, die sie immer häufiger plagen, in den Griff zu bekommen. Dass ihr Yogalehrer männlich ist und ihr Einzelstunden verabreicht, damit hatte Lena nicht gerechnet. Trotzdem lässt sie sich darauf ein und spürt direkt nach der ersten Stunde, dass es ihr guttut. Auf die zweite Sitzung freut sie sich bereits bis sie es schließlich kaum erwarten kann, sich diese Auszeit mit Reik zu nehmen. Er gibt ihr ein so gutes Gefühl, doch bedeuten diese innigen Momente nicht auch eine Gefahr?
Wie schon erwartet, bin ich super in das Buch eingestiegen. Ich hatte mich sehr auf diesen Roman gefreut, denn allein der Klappentext klang für mich sehr vielversprechend. Nicht nur der Schreibstil ist angenehm. Ich konnte mich auch direkt in Lena hineinversetzen. Schnell wurde ich von ihrem Alltag, den unerfüllbaren Zielen, Wünschen und Vorstellungen überrannt und konnte gut nachempfinden, wie sie sich gerade fühlt. All die Belastungen, die es ihr unmöglich machten, glücklich zu sein. Ich glaube, man muss nicht vollzeitberufstätig sein, um ihre Stimmung nachzuempfinden. Die meisten Mütter fühlen ganz genauso und können gut verstehen, wie schnell man vor lauter Kinderfürsorge das eigene Leben und die Partnerschaft hintenanstellt. Der Spagat zwischen Familie und Beruf stellt Eltern vor eine Herausforderung. Allerdings muss ich gestehen, dass ich bis zur Mitte des Buches von Lenas dauerhaften Unzufriedenheit und den vielen Schilderungen ihres Alltags, die mir als Mutter nur allzu vertraut vorkamen, fast genervt war. Sie wirkten wie eine Auflistung belastender Aufgaben. Ihre negative Stimmung übertrug sich auf mein Leseempfinden. Oft habe ich mich gefragt, warum sie nur so unglücklich war, wo doch ihr Mann alles daransetzte, sie glücklich zu machen. Um sie zu entlasten nahm er ihr so gut es ging die Arbeit ab. Lenas Mann Malte zeigte sich fast immer von seiner besten Seite. Er war in meinen Augen nicht nur der perfekte Vater, sondern auch ein fürsorglicher Ehemann. Genau das wird auch der Grund sein, warum Lena es in der ersten Hälfte des Buches deutlich schwerer hatte, mein Mitgefühl zu erlangen.
Irgendwann aber tat sich etwas in Lenas Leben. Sie räumte ihren Sehnsüchten etwas mehr Platz ein. Ihre Handlungen und Gedanken wurden tiefgründiger. Sie versank nicht mehr in Selbstmitleid, sondern fand Ideen, reagierte nach Gefühl und nicht nach Plan. Das, was sich zwischen ihr und dem Yogalehrer entwickelte und Gewissensbisse wie Schuldgefühle in ihr auslöste, war deutlich spürbar. Nun fesselten mich ihre Emotionen regelrecht an das Buch.
Lena und Malte zeigen uns in ihrer Geschichte deutlich, wie schnell es geht, sich vor lauter Alltagsbelastung aus den Augen zu verlieren. Mich hat ihre Geschichte berührt, schon allein, weil sie mir so real vorkam. Viele Stellen waren so mitten aus dem Leben gegriffen, dass ich das Gefühl hatte, sie finden in meinem Freundeskreis statt. Ich fand es spannend die Lebensgeschichte dieser Familie ein Stück zu begleiten. In meinen Gedanken hat sich das Buch definitiv festgesetzt, deshalb bekommt es von mir verdiente 4 Sterne.