Halbgötter aller Länder vereinigt euch!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
marapaya Avatar

Von

Die Wiege unserer abendländischen Kultur ist im alten Griechenland zu finden und bildet mit ihrem reichhaltigen Schatz an Mythen und Sagen seit zwei Jahrtausenden einen scheinbar unerschöpflichen Hort für Geschichtenerzähler, Historiker und Träumer. Nachdem sich in den letzten Jahrhunderten viele kluge Köpfe literarisch mit der Antike auseinander setzten, ist nun im neuen Jahrtausend der Stoff vielfach für Kinder und Jugendliche umgesetzt worden. Der Amerikaner Rick Riordan hat offensichtlich seine helle Freude an dem antiken Stoff und erschafft ganze Reihen von dicken Schmökern für junge Leser.
Sein Erfolgsrezept ist die Vermischung von amerikanischer Jugendkultur mit den alten Sagen aus griechischer und römischer Zeit. Die Welt der olympischen Götter existiert in unsere Zeit fort und nach wie vor gehen die Götter des Olymp Beziehungen mit Sterblichen ein. Diese Verbindungen sind oft fruchtbar und so leben in ganz Amerika verstreut Kinder, die göttliches Erbgut in sich tragen. Der Zwist, der Konkurrenzkampf und die Uneinigkeit unter den Göttern dauert ebenfalls bis in unsere Zeit an und so geraten die jungen Halbgötter regelmäßig zwischen die olympischen Fronten und müssen ständig die Welt vor dem absoluten Chaos retten.
Percy Jackson ist der neue Held in diesen Geschichten. Bereits fünf Bände hat Rick Riordan diesem Sohn des Poseidon gewidmet. In der Reihe Die Helden des Olymp richtet sich nun der Fokus nicht allein auf Percy Jackson, sondern auf eine ganze Gruppe jugendlicher Halbgötter. Das Zeichen der Athene ist der dritte Band dieser Helden-Reihe und führt zwei verfeindete Camps zusammen. Das ist wohl der klügste Schachzug des Autors: Die jungen Halbgötter werden in einem Ausbildungscamp mit dem sinnigen Namen Half-Blood auf ihre Rolle als Helden und Kämpfer vorbereitet. Oftmals stammen sie aus zerrütteten Familien, denn ein Elternteil ist, da Gott oder Göttin des Olymp, mindestens immer abstinent und Zwistigkeiten mit eventuellen neuen Lebenspartnern des menschlichen Elternteils vorprogrammiert. Um den Verwirrungsgrad noch zu steigern, ist die Halbgottwelt in Griechen und Römer unterteilt. Warum das so ist, hat sich mir aus der Lektüre des vorliegenden Bandes nicht ganz erschlossen und die vorhergehenden Bände sind mir bisher unbekannt. Die Kinder der griechisch bezeichneten Götter werden in Camp Half-Blood nahe New York unterrichtet, die Nachkommen der römisch benannten Götter werden im Camp Jupiter der Stadt Neu-Rom nach antikem römischen Vorbild ausgebildet, natürlich ebenfalls auf amerikanischem Boden. Beide Camps werden strikt getrennt und leben in Feindschaft. Dennoch hat sich die Göttin Hera ausgedacht, dass sich sieben Halbgötter aus beiden Lagern zusammentun und die Welt vor der Rückkehr der Erdgöttin Gaia retten sollen. Nebenbei soll Annabeth, die Tochter der Athene, ein altes Wahrzeichen wiederfinden, um damit die griechische und römische Welt wieder zu vereinen. An dieser Stelle einen kurzen Abriss über die Handlung des Buches zu geben, würde den Rahmen dieser Rezension um Längen sprengen. Daher verzichte ich darauf und gebe zu Bedenken, dass auch nach den 600 Seiten keine Ende des bevorstehenden Weltuntergangs in Sicht ist und die Story wohl in Band 4 weitergehen wird.
Rick Riordan orientiert sich im Erzählen offensichtlich am Stil Homers und nachfolgenden antiken Erzählern. Auch seine modernen Halbgötter müssen sich Aufgaben und Rätsel stellen, die es nur gelingt mit Sinn, Verstand, Mut und Glück sowie dem Wohlwollen mindestens eines Gottes zu lösen.
Sprachlich allerdings kann der Autor nicht mit den historischen Vorbildern mithalten. Den Helden des Olymps ist die Ausrichtung nach der jugendlichen Zielgruppe sehr deutlich anzumerken.
Besonders störend empfand ich die amerikanische Doppelbödigkeit in Sachen Liebe und Sex. Liebe ist das übergeordnete Motiv des Romans. Obwohl die Protagonisten noch keine 18 Jahre alt sind, so sind sie alle dennoch zumindest verknallt oder befinden sich sogar in festen Beziehungen. Typisch Pubertät möchte man meinen. Doch nur gelegentliches Knutschen ist erlaubt, Männlein und Weiblein müssen sich Nachts strikt voneinander getrennt aufhalten und möglichst nicht zu zweit allein unterwegs sein. Und die Kids halten sich natürlich daran, keiner der halbwüchsigen Jungs scheint von Hormonen gesteuert und keines der Mädchen macht sich Sorgen, ihr Freund könne ihr nur an die Wäsche wollen. Zuneigung, tiefe Gefühle und Liebe bestimmt die jeweilige Beziehung. Das ist sicherlich ein schönes Ideal, aber eben auch nichts anderes als ein Ideal, weit entfernt von jeglicher Realität. Alle anderen menschlichen Unzulänglichkeiten wie Neid, Eifersucht, Hochmut und Zweifel werden unablässig thematisiert, der menschliche Trieb hingegen komplett ausgespart. Ich persönlich finde das etwas befremdlich und halte diese Art der Verherrlichung bzw. Aussparung von körperlichen Gefühlen eher für gefährlich.
Das Buch bietet eine interessante Interpretation und Fortführung der antiken Sagenwelt, die Begegnungen mit bekannten und weniger bekannten Gestalten wie antiken Monstern, Göttern und Helden lehnen sich dem klassischen Heldenepos an und verfolgen damit leider auch mehr oder weniger einem einheitlichen Muster. Auf weiten Strecken ist die Geschichte sehr kurzweilig gestaltet, an manchen Stellen hängt sie dann aber auch manchmal etwas durch, insbesondere in der zwischenmenschlichen Gestaltung, was sicher als reine Ansichtssache verstanden werden kann. Ich bin wohl dann doch nicht mehr ganz die richtige Zielgruppe für Percys und Annabeths Abenteuer.