Wenn der Himmel zur Hölle wird

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khaoskef Avatar

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Marie Hermanson spielt in ihrem aktuellen Roman „Himmelstal“ mit einem Gedankenexperiment, das trotz oder gerade wegen aller Aufgeklärtheit der menschlichen Moral einen tiefen Riss verleihen könnte.

 

Bereits bei der Leseprobe konnte man sich fragen, um was für ein Buch es sich hier wohl konkret handelt. Man wird als Leser ein wenig stutzig, wenn der Verlag das Buch als Roman bezeichnet und der Aftonbladet es auf dem Klappentext als „atemberaubenden Psychothriller“ anpreist. Auf den ersten Blick mag das verwirren, doch ist es nur folgerichtig. Marie Hermanson überschreitet in ihrem Roman die Genregrenzen und leiht sich nicht zuletzt wesentliche Elemente des Psychothrillers. Die Spannung ist ohne Zweifel vorhanden, aber nicht in einer kontinuierlichen und nervenaufreibenden Form. Letztendlich hat der Verlag mit dem allgemeineren Begriff des Romans die klügere Wahl getroffen. Trotz aller Anleihen aus anderen Genres ist und bleibt es ein Roman.

Marie Hermansons Gedankenexperiment zielt auf die Abgründe der Menschlichkeit und die gefährliche Grenzenlosigkeit einer menschlichen Moral ab, die das Wort „Freiheit“ neu definiert. Dafür braucht es individuelle Charaktere, die in ihrer Tiefe glaubwürdig sind. Die Protagonisten Max und Daniel sind ebensolche und die Autorin versteht es, sie durch detaillierte Beschreibungen und Rückblenden zu beleben. Auch die Ärzte und das Personal der Klinik sind plausibel dargestellt, auch wenn sie teilweise eher stereotyp und somit leicht durchschaubar sind.

Die Klinik heißt „Himmelstal“ und steht so im offensichtlichen Gegensatz zur Realität, da dieser Ort für Daniel zur Hölle wird. Auch hier beweist Marie Hermanson Feingespür für die Atmosphäre eines Schauplatzes. Die Klinik, die angeblich der Erholung dienen soll, liegt in ländlicher Alpenidylle und wandelt sich im Verlauf mehr und mehr in einen Ort des Unbehagens. Atmosphärisch dicht webt die Autorin ein Geflecht aus Schönheit und Schrecken.

Sprachlich bewegt sich die Autorin stilsicher durch ihre Geschichte. Jedes Wort ist treffend und an der richtigen Stelle positioniert, das Buch lässt sich flüssig lesen und bietet sprachlich keine Stolperfallen. Die Betonung liegt hier auf dem sprachlichen Aspekt, weil sich das inhaltlich leider nicht komplett fortsetzt. Das Buch ist gespickt mit kleineren und größeren Andeutungen, die durchgängig im Verlauf direkt erklärt werden. Bereits auf der ersten Seite glaubt Daniel, dass der Brief von Max aus der Hölle kommt, weil er das Wort „Helvete“ auf dem Umschlag zu erkennen glaubt. Eine geschickt platzierte Vorausdeutung auf die Geschehnisse und eine von vielen Andeutungen. Zwar erkennt Daniel seinen Irrtum schnell – es handelt sich natürlich um das Wort „Helvetia“ – doch fragt man sich, ob der Leser das nicht auch ohne diesen Hinweis herausgefunden hätte. Trotzdem kann man sich an dieser Stelle noch damit anfreunden, anstrengend wird es erst in Situationen, in denen Dinge erklärt werden, die keiner Erklärung bedürfen. Als Daniel einen ihm vorgesetzten Tee trinkt und daraufhin plötzlich und unerwartet müde wird, braucht man als aufmerksamer Leser, der sowieso schon durch das ganze Geschehen misstrauisch geworden ist, keine weitere Erklärung. Man weiß, dass der Tee mit irgendeinem Mittel versetzt wurde. Marie Hermanson jedoch scheint an vielen Stellen an der Aufmerksamkeit ihrer Leser zu zweifeln, denn es wird jede noch so kleine Andeutung erläutert. Da bleibt kein Raum, um zwischen den Zeilen zu lesen, da fehlt die Freiheit, an der Geschichte aktiv teilzunehmen. Das ist nicht nur schade, sondern auch äußerst lästig.

Neben einigen logischen Ungereimtheiten ist der Höhepunkt der Geschichte zugleich auch der Tiefpunkt des gesamten Romans. Hier möchte die Autorin das Geschehen durch eine umfassende Erklärung erhellen und dem ganzen eine dramatische Wendung geben. Bei 428 Seiten nimmt sie sich aber keine Zeit, um die Geschichte abzurunden. Übereilt hastet sie durch ein Gespräch, in dem der Inbegriff eines verrückten Professors seine Theorien und Handlungen erläutert. Hier liegt an sich viel Potential, aber die Theorien steigern sich in etwas Absurdes und Unglaubwürdiges. Es gibt kurze Einwürfe zum Thema Moral und Menschenwürde und für einen kurzen Augenblick hat man das Gefühl, das jetzt etwas Bedeutendes kommt, das die Autorin noch etwas wichtiges zu sagen hat. Leider verhallen die Worte, ohne wirken zu können. Da hilft auch Nietzsche nicht mehr.

**Fazit:**

Das Spiel mit diesem Gedankenexperiment erfordert vor allem einen kritischen Blick und viel Geduld. Beides entgleitet der Autorin jedoch im Eifer des Spiels, es entsteht lediglich die Andeutung eines Bruchs. Obwohl die Autorin alle Regeln des Spiels kennt, verschenkt sie einen Teil des Potentials einer an sich großen Idee.

Ein anderer Teil wurde jedoch gut ausgeschöpft und so findet man trotz der inhaltlichen Mängel noch immer einen unterhaltsamen Roman, der zum Nachdenken anregt, wenn man sich darauf einlässt.