Ein Herz für besondere Gehirne

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Als Mutter von zwei neurodivergenten Kindern, mit einem neurodivergenten Mann, und mit eigenen Zügen die ich rückblickend auf meine Kindheit immer mehr bei mir erkenne, bin ich sehr froh, dass es nun ein solches Buch gibt, das das Leben mit Hirnsalat sehr treffend beschreibt.

Dadurch dass das Buch das gesamte Spektrum der Neurodivergenz abdeckt und die Hauptfiguren gut verständlich, einfühlsam und respektvoll beschreibt, können sich Betroffene hier sicher in einem oder mehreren der Charaktere wiederfinden, und auch Angehörige erkennen bei den Kindern vieles wieder. Vor allem auch der Fokus darauf, was die einzelnen Kinder besonders gut können, ist sehr gut gelungen

Das ist schon einmal die wichtigste Botschaft: durch den Hirnsalatclub stellt man fest, dass man mit seinen Eigenheiten und Besonderheiten nicht allein ist, auch wenn es sich manchmal so anfühlt.
Hoffentlich kann das Buch auch neurotypischen Menschen näher bringen und verständlich machen, was dort in den Köpfen so vor sich geht, was von außen vielleicht ganz anders aussieht..
Die Botschaft am Anfang des Buches, die auch in verschiedenen Formen wiederholt wird, finde ich sehr wichtig: Diese Kinder wollen nicht so handeln; wenn sie es anders/besser/angepasster könnten, würden sie es tun!

Das gegenseitige Verständnis der Kinder und die Hilfe untereinander zeigt, was und wie Inkusion eigentlich sein sollte. Allerdings finde ich es traurig, dass die Kinder in einer Position sind, sich selbst zu helfen, während außer der Erzieherin Ina kaum jemand auf Seite der Kinder ist. Das ist jedoch keine Kritik an der Geschichte, sondern leider häufig die Realität von Kindern, die selbst mit einschlägigen Gutachten und Diagnosen oft an den Maßstäben von "normalen" Kindern gemessen werden.

Einige Kritikpunkte sind mir allerdings aufgefallen:

Während das bunte Gehirn und der Hirnsalat sehr treffende Bilder sind, ist der Rest der Szenen leider weniger ansprechend illustriert. Das ist natürlich Geschmackssache, aber zumindest beim Publikum hier sind sie nicht gut angekommen.

Das Publikum bringt mich zum nächsten Punkt; bei der Zielgruppe, vor allem der Altersgruppe, bin ich mir nicht ganz sicher. Die Altersangabe des Verlags lautet ab 5 Jahren, dafür finde ich Inhalt und Ausdrucksweise eventuell etwas zu kompliziert. Da aber die Figuren mitunter älter oder jünger handeln, als sie sind, was sehr realistisch ist, ist es letztendlich eine Ermessensfrage und von jedem Kind individuell abhängig.

Dafür dass es endlich ein solches Buch gibt, habe ich das Gefühl, dass es etwas zu viel schaffen möchte, was sich leider in einem etwas unübersichtlichen Aufbau niederschlägt. Zum einen wird die Geschichte des Hirnsalatclubs erzählt, dazwischen gibt es allerdings einen längeren Einschub der Neurodivergenz, ihre verschiedenen Ausdrucksformen und Ursachen erklärt, sowie die Schwierigkeit, von anderen beurteilt zu werden, erwähnt. Diese Aufteilung hätte ich, vor allem in Hinblick auf Aufmerksamkeits- und Verständnisbesonderheiten neurodivergenter Menschen, etwa in zwei Teilen des Buches (Geschichte und Hintergrundinformationen) vom Fluss her besser gefunden.

Unpassend finde ich die Abbildung der hochschwangeren Frau, die gemütlich mit Weinglas und Weinflasche dasitzt. Sicher gehört auch FAS zu einer der Ursachen für Hirnsalat, da dies jedoch die einzige Abbildung im Abschnitt Ursachen ist, wird darauf ein sehr großer und daher missverständlicher Teil der Aufmerksamkeit gelenkt, der gerade bei Kindern durchaus ein falsches Bild vermitteln könnte.
Hier hätte ich mir gewünscht, dass das Bild vom bunten Gehirn, auf das verschiedene Einflüsse einwirken, und eben die bunten Elemente ergeben, weitergeführt worden wäre.


Insgesamt ist "Hirnsalat" ein wichtiges Buch mit vielen sehr guten Ansätzen, vor allem sehr viel Herz, Einfühlungsvermögen und Identifikationsmöglichkeiten. Eine etwas andere Umsetzung hätte es allerdings noch viel zugänglicher machen können, denn ich wünsche mir, dass es möglichst viele Menschen erreichen kann.