Burlesque als Therapie

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scottie Avatar

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Was bleibt einem treuen, fürsorglichen und verantwortungsbewussten Ehemann und Vater nach  über 10 Jahren Ehe? Offensichtlich nicht sehr viel. Die Gewissheit der Routine: pubertierender Sohn, der einem für alt hält, kleine Tochter, welche man regelmässig vom Kindergarten abholen muss, und eine über alles meckernde unzufriedene Ehefrau. Zum Glück ist da noch der Arbeitsplatz: letzte Festung des männlichen Stolzes und Selbstbestätigung, gilt es tagtäglich mit scharfer Zunge gegenüber verschiedenster Übergriffe zu verteitigen. Mann hat es nicht leicht. Doch auch diese Oase wird Max genommen, denn auf Grund seiner sexuellen Gedanken und einer sonderbaren Hingezogenheit zu den Haaren einer linken militanten Radikalen wird er "beurlaubt"...So den Pfeilern seines Lebens beraubt, beschließt Max aus der Wirklichkeit auszutreten (oder die Wirklichkeit kickt Max raus, auf jeden Fall trennen sich ihre Wege für eine Zeit) und sucht Zuflucht in einem Urtyp von Muskelbude, wo das Vormittagsclientel aus Türstehern und ähnlichen Intelligenzbestien (dafür aber mit Bizeps, der sich umgekehrt proportional zur Hirngröße verhält) besteht. Dort trifft er auf Nancy - das vollkommene Gegenteil seiner Frau. Jung, etwas frech und extrem biegsam, scheint sie nichts dagegen zu haben, wenn Männer in ihr nur das Objekt ihrer erotischen  Fantasien sehen.

Schon als ich die Ankündigung des Buches las, war ich überzeugt davon, dass es wieder mal um so eine Beziehungssache geht: Mann in Midlifekrisis verlässt Frau und Kind um mit 20 Jahre jüngeren Frau den zweiten Hormonfrühling zu erleben, am Ende aber sehe er sicher ein, dass seine erste Familie wichtiger ist und verliebt sich neu in seine alte Frau. Dachte ich, beschloss aber der Leseprobe doch eine Chance zu geben und war angenehm überrascht. Selbst wenn es sich um so eine "abgedroschene" Geschichte dreht, scheint sie gut erzählt zu sein. Daher war ich dann auch recht froh das Buch so zeitig in den Händen halten zu dürfen - und wurde nochmals überrascht.

Ja, es geht um einen Mann in seiner Midlifekrisis. Ja, das Familien- und Eheleben dreht seine festgefahrenen Bahnen und Streit ist da schon fast willkommene Abwechslung (die Streit und Pseudodiskussionen sind sehr schön beschrieben, was musste ich schmunzeln bei diesem intellektuellen klingenwetzen). Ja, die jüngere Frau ist viel besser nd interessanter. (Eigentlich scheint jede Frau besser zu sein als Dorit). und Ja, der Sinn des Lebens ist Max abhanden gekommen -  -  - Trotzallem ist es kein typischer Handlungsablauf, denn dieser Mann bleibt sich und seinen Prinzipien treu und findet wieder zu sich. Wie ihm das gelingt ist auf jeden Fall eine Lesereise wert.

Schwarz' Debüt ist so erfrischend locker geschrieben, dass es sich von allein liest. Belebt durch die Wortakrobatik und dem Einsatz von Ironie und Sarkasmus des Protagonisten wird die Handlung lebendig und für jeden greifbar.

Ich bin schon fast ein wenig neidisch auf alle die das Buch jetzt erst zum ersten Mal lesen dürfen.