Ein ganz zufälliger Anruf

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gisel Avatar

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Victoria steht am Vorabend einer Gerichtsverhandlung. Sie ist angeklagt, einen ehemaligen Freund durch Cybermobbing in den Tod getrieben zu haben. Ihre Familie wird im Ort gemieden, sie wird beschimpft, im Internet und per Telefon. Als ihr Handy klingelt, erwartet sie einen weiteren Anruf, der sie mit Schimpfwörtern überhäuft. Doch es ist ein zufälliger Anruf: Andy steht mit seinem Auto am Abgrund und möchte sich umbringen. Er bittet Victoria um einen Grund, dies nicht zu tun. Anfangs ist sie misstrauisch über so viel Zufall, doch je mehr sie mit ihm spricht, umso mehr nimmt sie ihn ernst. Eine lange Nacht steht ihr bevor…
Anfangs konnte ich sie überhaupt nicht leiden, diese Victoria, die sich kaum Gedanken macht über den Tod des Freundes, mit dem sie noch vor einem Jahr eng zusammen war. Doch in diesem Schuljahr hat sie sich anderen Freunden angeschlossen, und die haben Kevin böse gemobbt. Statt dem Einhalt zu gebieten, hat sie munter mitgemacht. Dennoch fühlt sie sich nicht schuldig, denn Kevin hat ja selbst den Schal genommen und sich aufgehängt. Vielmehr zerfließt sie in Selbstmitleid, wenn ihr die Höchststrafe von zehn Jahren droht. Dann ist sie 26, wenn sie aus dem Gefängnis kommt, war nicht auf dem College. Überhaupt wird das Geld, das ihre Eltern für ihr College zurückgelegt haben, wohl an ihren Rechtsanwalt gehen. - Im Verlauf des Gesprächs jedoch zeigt Victoria ihre andere Seite, es gelingt ihr, mehr und mehr für Andy da zu sein, sie möchte ihn vor dem Selbstmord bewahren.
Es ist keine leichte Lektüre, die Tom Leveen seinen Lesern vorlegt. Das geht bis zu feinen Spitzfindigkeiten, ob Victoria unschuldig oder nicht schuldig sei. Die Geschichte ist aus der Sicht der Jugendlichen geschildert, so dass der Leser sich sehr gut in ihre Gedanken einfühlen kann. Und ganz nebenbei kommt das wichtige Thema des Buches zur Sprache, Cybermobbing. In Zeiten, in denen Jugendliche frei von der Leber im Internet ihre Gedanken ausbreiten, kommt dieses schmale Büchlein genau richtig. Es liest sich spannend, die Cliffhanger sind genau richtig gesetzt, und die Geschichte um Kevin erfährt der Leser über die Einträge auf Victorias Facebook-Account, so dass er sich selbst seine Gedanken darüber machen kann. Etwas schwerfällig kommt der Titel daher, kurz und knackig jedoch der englische Originaltitel: Random. Ein zufälliger Anruf, der (gerade noch rechtzeitig) Victorias Leben verändert.
Auch wenn ich keine Jugendliche mehr bin und mir das Ende ein bisschen arg aufgesetzt vorkam, hat mir das Buch sehr gefallen. Was Kevin geschehen ist, passiert täglich mehrfach, und die Aufarbeitung aus Victorias Sicht ist spannend und bringt den Leser zum Nachdenken. Somit ein äußerst aktuelles Thema jugendgerecht präsentiert. Ein Buch, das so kompromisslos und trotzdem einfühlsam für Toleranz steht, sollte sehr viele Jugendliche zum Nachdenken bringen, vielleicht sogar als Schullektüre.