Ich bin nicht schuldig!

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Als der Anruf kommt, hält Tori ihn für einen weiteren Schmähanruf – jemand, der sie am Vorabend ihrer Verhandlung noch mal quälen will. Denn sollte es tatsächlich Zufall sein, dass ein Junge, der Selbstmord begehen will ausgerechnet ihre Nummer gewählt hat, um von ihr einen Grund zu hören, warum er es nicht tun sollte? Aber darf Victoria überhaupt zweifeln? Denn sollte er die Wahrheit sagen, hält sie sein Leben in der Hand…

Die ersten Seiten nehmen einem schon den Atem. Die kalte Angst, die Tori verkörpert, überträgt sich fast augenblicklich auf den Leser. Eine Familie, die erstarrt ist in Unglauben, Furcht und Hilflosigkeit während um sie herum ein Sturm tobt, bei dem sie nicht mal wissen, ob sie ihn entfesselt haben. Doch das spielt erstmal keine Rolle, denn alle Angriffe zielen auf sie, besser gesagt: auf Tori. Es ist noch nicht abzusehen, ob sie tatsächlich diese immense Schuld auf sich geladen hat, für die sie nun büßen soll. Beteiligt scheint sie gewesen zu sein, doch man spürt sofort, egal ob schuldig oder nicht - etwas ist in ihr zerbrochen, für immer. Normales, spontanes Denken ist ihr nicht mehr möglich, da sie jede Vokabel auf ihre Schärfe und Bosheit prüft. Selbst wenn Tori die Rückkehr in ein normales Leben gestattet ist, wird es lange dauern bis sie sich erholt hat - soweit ihr das überhaupt möglich ist.
Diese kalte Furcht, der Unglaube ein entsetzliches Ereignis heraufbeschworen zu haben, wird durch jeden Buchstaben fast greifbar verkörpert.
Und doch bleiben zwei Lichtblicke: Noah, der beste Freund und weiterhin fröhlich und normal mit ihr umgeht. Die verkörperte Hoffnung auf Normalität und ein gutes Ende.
Und dann natürlich Andrew, der bei Tori Hilfe sucht - zufällig. Eine zweite Chance, die Möglichkeit etwas gut zu machen und Tori bei Erfolg Stärke, Mut und Zuversicht geben wird alles durchzustehen, was auf sie kommen wird. Wenn sie es schafft ihn zu retten, wird ihr das die Kraft geben sich selbst wieder in die Augen zu sehen und ihr Leben anzupacken.

Ein atemloses und erbarmungsloses Buch über die erschütternde Macht, die soziale Netzwerke ausüben können: Mobbing – anonym, in Sicherheit vor einem Monitor; man muss dem Opfer nicht einmal mehr in die Augen sehen. Und doch ist man schuldig. Wenige Sätze können zu viel sein. Ein nicht ausgesprochenes Wort, kann verhängnisvolle Konsequenzen haben. Diesmal erzählt aus der Sicht eines – Täters (?). Wie schnell werden Täter zu Opfern – regulär gehetzt, ins Rampenlicht gezerrt und gesellschaftlich und psychisch ruiniert. Ob das besser ist?
Das Buch packte mich in vielerlei Hinsicht. Es wird so viel erzählt, dass man gar nicht glauben kann, dass es auf so wenigen Seiten möglich ist. Es zeigt, wie schnell man sich auf einer Seite wiederfindet, auf der man sich nie gesehen hat und die man nie als das, was sie ist, erkannt hat. Wie schnell verändert man sich und erkennt sich nicht wieder, wenn man die Zeit bekommt über sich nachzudenken.
Die Geschichte fordert dazu auf, zu reflektieren, sich seines Verhaltens bewusst zu werden. Ein wahnsinnig gutes Buch! Eine klare Leseempfehlung!