Innuit, Lemminge und Ungereimtheiten...

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parden Avatar

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Drei vermummte Gestalten wandern durch die unwirtliche Eislandschaft der Insel Craig: Edie Kiglatuk begleitet zwei Touristen auf eine Jagdexpedition. Die Amerikaner, die sie angeheuert haben, wollen einen echten Abenteuerurlaub erleben. Die unwegsame Einsamkeit der Arktis ist der Inuk-Spurensucherin bestens vertraut. Doch einer der Männer kommt zu Tode. Ein Unfall, beschließen die Dorfältesten, denn ein Verbrechen würde sich negativ auf das Tourismusgeschäft auswirken und nur unnötige Unruhe auslösen.
Wenig später ist Edie erneut gefragt: Zwei Reisende auf den Spuren des viktorianischen Forschers Sir James Fairfax engagieren sie als Führerin. Sie bricht gemeinsam mit den Männern und ihrem Stiefsohn Joe auf. Die Gruppe trennt sich, wenige Tage später kehrt Joe allein zurück: stark unterkühlt und geistig augenscheinlich verwirrt. Von seinem Schützling fehlt jede Spur. Als Joe schließlich auch stirbt und Edie an der Selbstmordtheorie Zweifel bekommt, muss sie erkennen, dass sich hinter den Vorfällen Umstände verbergen, die so gewaltig sind, dass sie zur Bedrohung für alles werden, was ihr am Herzen liegt...

Edie ist eine Halbblut-Inuit, die mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg hält und oftmals impulsiv reagiert. Gleichzeitig bezeichnet sie sich als Jägerin und versucht sich immer wieder auch in Geduld zu fassen. In der kleinen Siedlung der Arktis ist sie eher eine Außenseiterin, und ihre Gedanken und Nachforschungen bezüglich der Todesfälle werden bestenfalls belächelt, oftmals gar behindert oder untersagt. Doch Edie wäre nicht Edie, wenn sie sich davon entmutigen lassen würde: sie muss einfach mehr über die Hintergründe erfahren. Das, so denkt sie, ist sie ihrem Stiefsohn Joe schuldig - aber auch ihrem eigenen Gerechtigkeitsempfinden.
Unterstützung, wenn auch anfangs eher widerwillig, erfährt sie einzig duch Derek Palliser, den Polizisten, der für diese Siedlung zuständig ist. Auch er ist unter den Inuit ein Außenseiter, der eigentlich lieber Arktische Zoologie studieren und sein Leben den Lemmingen widmen wollte. Doch nun dient er dem Rechtssystem, das in den arktischen Siedlungen als etwas aus dem Süden Eingeschleustes gilt, das keiner will und keiner braucht - und Polizisten gelten als Kollaborateure. Als Edie ihm nicht nur Mutmaßungen, sondern auch Beweise für ihre Verdachtsäußerungen zu liefern beginnt, bricht Dereks Widerstand, und er handelt schließlich der von der Obrigkeit ausgegebenen Prämisse zuwider, ja keine schlafenden Hunde zu wecken...

Die Erzählung entspricht einem in der Arktis herrschenden Grundatz: sich bloß nicht schnell zu bewegen, da man sonst schwitzen und anschließend sehr schnell unterkühlen könnte. Manchesmal erscheint die Geschichte daher sehr langatmig, z.B. wenn über mehrere Abschnitte hinweg Lemminge und ihr Verhalten Gegenstand der Erzählung sind.
Andererseits gab es eine Vielzahl von Beschreibungen, die die Arktis und ihre Gesetzmäßigkeiten sowie ein Leben und Arbeiten im ewigen Eis sehr anschaulich werden ließen. Neu war für mich z.B., dass ein Regenbogen in der Arktis kreisrund ist. Und dass es auch so weit nördlich Buschpiloten gibt.

Interessant fand ich sogar im Anhang die Danksagung. Die Danksagung der Übersetzerinnen nämlich an einen Glaziologen für seine Hilfe in Sachen Gletscher, Eis und Schnee, "ohne die sie hilflos auf einer Scholle im weiten Polarmeer falscher Möglichkeiten getrieben wären". Dies verdeutlicht vermutlich schon, wie detailliert Melanie McGrath diese unwirtliche Gegend beschrieben hat. Ungelogen war mir häufig richtig kalt beim Lesen, und ich habe viele Tassen heißen Tees dabei getrunken - wenn auch, anders als die Protagonistin, ohne Zucker...
Manches ist aber auch einfach zu unvollstellbar, wie z.B. die Aussage, dass -23°C als milder Tag gelten oder dass ein Büro als warm und stickig empfunden wurde, weil jemand die Heizung angedreht hatte, und die Raumtemperatur auf +16°C geklettert war...

Und auch die Beschreibungen der Essgewohnheiten ließen bei mir mehr Bilder als gewünscht im Kopf entstehen. Bei Walhaut mit cremefarbener, säuerlicher Fettschicht, gefrorenem Walblut, vergorenem Walrossdarm oder Robbenblutsuppe, bei der sich sogar Edie die Nase beim Trinken zuhalten muss, schüttelte es mich ein ums andere Mal.
Jedenfalls ist es Melanie McGrath durch ihre detaillgetreuen Beschreibungen gelungen, dass der Leser sich ein wirkliches Bild vom Leben in der Arktis machen kann sowie vom heutigen Dasein der Inuit, die zwischen den Kulturen schweben und sich oft genug im Alkohol verlieren.

Der Krimi selbst war für mich nicht sehr spannend und die Aufdeckung der Hintergründe auch nicht sonderlich spektakulär.
Insgesamt jedoch war es schon ein beeindruckendes Leseerlebnis.