"Das Wesentliche zwischen Liebenden ist unsagbar."

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angélica Avatar

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“Bei dem vorliegenden Roman handelt es sich um mein Herzensbuch, eines, das ich seit Jahrzehnten mit mir herumtrage.” Dieser Satz findet sich im Nachwort, das die Autorin Bettina Storks ihrem knapp 400seitigen Roman beigefügt hat. Dass ihr Herz nicht erst seit gestern für die Werke der beiden Protagonisten, Ingeborg Bachmann und Max Frisch schlägt, und dass das Vorhaben, die (Liebes-)Beziehung der beiden zu beleuchten, ein durch einen langen Zeitraum getragenes ist: Darin urständet sicherlich die wunderbar ausgereifte Gestaltung dieses fiktiven Romans. Ungemein künstlerisch ist bereits die Gliederung.
Es gibt 42 überschaubare Kapitel, die durch 4 motivisch begründete Zeitstränge gebündelt werden. Aussagekräftig spannen deren poetische Titel den dynamischen Bogen des 6jährigen Beziehungsverlaufes.
‘Liebesanflug’ skizziert in 7 Kapiteln die Annäherung der beiden Literaten 1958/1959, ‘Liebesflüge’ widmet sich opulent in 29 Kapiteln den konfliktiven Versuchen des Miteinanders 1959-1961, ’Sturzflug’ legt in 3 Kapiteln Zeugnis ab von dessen exzessivem Scheitern 1962/1963, und ‘Gebrochene Flügel’ wirft in 3 letzten Kapiteln Schlaglichter auf die ab da wieder getrennten Lebenswege 1963/1964.
Eingeläutet werden diese 4 Flugstationen jeweils durch ein sensibel gewähltes Zitat zum Thema Liebe: Im Wechsel kommen so Frau Bachmann als auch Herr Frisch je zwei Mal selbst zu Wort. Dieser Hauptteil wird gerahmt von einem Prolog, der eine gefeierte Ingeborg Bachmann unmittelbar vor ihrer Bekanntschaft mit Max Frisch bei einer Lesung in Frankfurt zeigt und einem Epilog: 1990, also ein gutes Vierteljahrhundert nach dem Ende der Beziehung und 17 Jahre nach dem frühen Tod von Ingeborg Bachmann gibt Max Frisch wenige Monate vor seinem Tod in seinem letzten Zuhause im Tessin einem österreichischen Journalisten ein Interview. Der stellt die Frage nach der Beziehung zu Ingeborg. “Wir sind uns in Paris begegnet. Dann haben wir eine Zeit lang in der Schweiz und in Rom zusammengelebt. Dann haben wir uns getrennt.“ Eine karge Kurzfassung in 3 Sätzen aus dem Mund des 79jährigen Greises. Aber dann auch: “Ich wünsche mir jede Nacht, von ihr zu träumen.” Dem Buch vorangestellt hat Bettina Storks zwei wiederum feinfühlig ausgesuchte Statements der beiden literarischen Größen, diesmal zum Thema Schreiben. In ihnen offenbart sich ihrer beider seelische Nähe, aber auch die große Verschiedenheit. Wie ein Vorbote stimmen sie den Leser aufs Kommende ein.
Ein traumhaft schönes Foto in Sepiatönen auf dem Cover hat mich angeregt, das Buch zu lesen. Man erblickt das literarische 'Traumpaar' dicht nebeneinanderliegend in einem schmalen Holzboot. Ganz entspannt aber wirken sie nicht, auch scheint jeder wie 'für sich' zu sein. "Am Ende jedoch bleibt ein solcher Roman eine fiktive Erzählung über das Innenleben der beiden Protagonisten, eine Annäherung an Gefühlswelten. Gerade deshalb verlangt eine derartige Innensicht äußerste Behutsamkeit und Vorsicht.” So liest man im Nachwort. Und ist geneigt, der Autorin zur überaus gelungenen Umsetzung ihres ehrenvollen Anspruchs zu applaudieren.
Bedingungslose Lese-Empfehlung auch für Abiturienten, denn 2023 wird Ingeborg Bachmanns Hörspiel 'Der gute Gott von Manhattan' eines der Deutsch-Themen sein. Mit dem vorliegenden Roman im Hinterkopf dürfte eine Klausurarbeit darüber leichter aus der Feder fließen.