Mehr Folter als Jagd

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philipp.elph Avatar

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Zum Schluss habe ich dann noch mal den Prolog gelesen, um den Anfang zu verstehen.
In diesem Prolog wird Nora gesucht und der Suchende will sich die Information über den Aufenthaltsort der Frau mit allen Mitteln der Folter erzwingen. Fast bis zum Tod wird Lerberg, Ex-Politiker und Geschäftsmann, gefoltert. Lerberg, dessen Politikerkarriere vor vielen Jahren mit einem Skandal endete, den Annika Bengtzons Chef Schymann aufdeckte und großformatig in dem von ihm herausgegebenen „Abendblatt“ ausbreitete. Jahre zuvor hatte Schymann schon einmal großes Aufsehen erregt, als er eine Fernsehdokumentation über das Verschwinden einer insolvente ehemaligen Milliardärin zeigte, von der die Polizei annahm, dass sie ermordet worden wäre.

Ein Blogger findet heute die größte Aufmerksamkeit im Netz, indem er den ehemaligen TV-Mann, heutigen Redakteur der Lüge bezichtigt. Damals hätte Schymann die Unwahrheit gesagt, wäre dafür aus dunklen Quellen bezahlt worden, behauptet der Blogger. In unzähligen Kommentaren und weiteren Posts wird der Blogger, der sich “Licht der Wahrheit” nennt bejubelt, Schymann auf übele Weise diffamiert. Das ist der eine Aspekt des Romans, die Rolle der Medien, der Einfluss des Webs bei der Meinungsbildung.

Zunächst stellt sich „Jagd“ jedoch als Kompendium für Foltermethoden dar. Falaka, Strappado, Cheera, La Bañera und andere braucht der Leser dieses Romans nun nicht mehr zu googeln, sie werden hier ausführlich am Körper des gefolterten dargestellt. Sicherlich nicht unbedingt zur Freude braver Liza Marklund-Leser, für den Hardcore-Krimifan jedoch eine längere Phase genüsslichen Lesens.

Und so wuselt Nina Hoffmann, neu bei Stockholms Kripo und auch neu im Job, zunächst bei ihren Ermittlungen im Umfeld des gefolterten und dessen verschwundener Ehefrau rum, wird dann auch mit der Nase auf den alten Fall der verschwundenen Unternehmerin gestupst. Ähnlich ergeht es ihrer bekannten aus einem alten Fall, der Journalistin Annika Bengtzon, die keineswegs – wie uns der Klappentext weismachen will – „bald schon einer ganz eigenen Theorie folgt“, sondern zunächst planlos den Fall verfolgt und vom Chef mit dessen laufenden Skandal konfrontiert wird. Durch viele Wirren und teilweise Erkenntnisse, die keineswegs logisch nachzuvollziehen sind, driftet der Krimi mit etlichen Handlungssträngen einem Ende entgegen, das sich schon lange andeutete. Worum es dabei geht, kann man, muss man sich jedoch nicht erlesen.

Und bevor in einem Epilog das Schicksal Noras bis zum letzten Punkt geklärt wird, gibt es von der Autorin noch einen wenige Sätze umfassenden Seitenhieb auf Schwedens scheinbar funktionierenden Sozialdienst und dessen neue Kriterien zur Auswahl von Pflegefamilien. „Alle dürfen sich bewerben, und wer am wenigsten verlangt, bekommt die Kinder.“ Ja, sozialkritisch ist er auch der Krimi – aber nur ganz, ganz wenig.

Es mag sein, dass Liza Marklund auch mit diesem Kriminalroman, dem zehnten der Annika-Bengtzon-Reihe, ihre LeserInnen wiederum begeistert. Für mich waren lediglich die Schilderungen der Folterungen und die Ausführungen dazu interessant. Die sind allerdings bei einigen ihrer Fans – so ist dem Netz zu entnehmen – bereits übel aufgestoßen.