Liebe für ein ganzes Leben

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buecherfan.wit Avatar

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Natasa Dragnics Roman “Jeden Tag, jede Stunde” ist die Geschichte einer großen Liebe. Luka (geb. 1959) und Dora (geb. 1962) begegnen sich an Doras erstem Kindergartentag. Dora ist zwei Jahre alt, Luka fünf. Luka ist so fasziniert von der Schönheit ihrer Kindergartentasche, dass er in Ohnmacht fällt. Dora küsst ihn auf den Mund und flüstert ihm zu: “Du bist mein Dornröschen, nur mein, wach auf, mein Prinz, du bist mein Prinz, nur mein…” Von diesem Augenblick an sind die beiden Kinder unzertrennlich, spielen oder betrachten die Wolken, in denen sie Bilder erkennen. Vier Jahre später genießen sie ihren letzten gemeinsamen Sommer, dann werden sie getrennt, weil Doras Familie nach Paris zieht. Erst sechzehn Jahre später sehen sie sich dort zufällig wieder, weil der begabte junge Maler Luka in Paris eine Ausstellung hat. Sie bleiben zusammen und planen eine gemeinsame Zukunft. Dann lässt Luka nach der Abreise nichts mehr von sich hören. Dora reist ihm nach. Sie sind wieder zusammen, obwohl Luka in der Zwischenzeit eine Frau geheiratet hat, die er nicht liebt, weil er sich dazu verpflichtet fühlte. Wieder sind sie getrennt, begegnen sich erneut nach sechs Jahren und trennen sich wieder. Bis zum nächsten Wiedersehen vergehen siebzehn Jahre. Beide sind jetzt Mitte bis Ende vierzig und lieben sich noch immer, haben nie jemand anderes geliebt.

Dragnic gelingt es, die Liebesgeschichte weitgehend frei von Kitsch und übertriebener Sentimentalität zu erzählen. Das liegt vor allem an ihrem ungewöhnlichen Stil. Zum Teil benutzt sie eine Art Telegrammstil mit kurzen Sätzen, die öfter aus nur einem Wort bestehen. Dann fügt sie außerordentlich poetische Beschreibungen von Landschaften und Stimmungen ein und zitiert immer wieder Verse von Pablo Neruda, die gut zu der Darstellung großer Gefühle passen. Häufig eingestreute Koseworte in der kroatischen Muttersprache der Autorin lassen die Erzählung besonders authentisch wirken. Erzählt wird abwechselnd aus Doras und Lukas Perspektive. Der Leser kann so ihre Lebensläufe verfolgen und sieht, dass sie beide versuchen, fern von dem anderen ihr Künstlerleben zu leben - Luka ist Maler und führt das Hotel seines Vaters, Dora ist Schauspielerin -, obwohl sie ohne den anderen nicht glücklich werden können. Es gibt kein banales Happy End für die Geschichte, obwohl in dem vorangestellten 40. Kapitel eine gemeinsame Zukunft für die beiden Liebenden möglich scheint. Zumindest ist der sein Leben lang eher schwache, nicht gerade entscheidungsfreudige Luka jetzt entschlossen, seine Liebe nicht länger der Pflicht zu opfern. Die Autorin lässt das Ende jedoch bewusst offen.

Dragnics Roman ist nicht nur sprachlich herausragend, sie zeigt auch erzähltechnisch Raffinesse, zum Beispiel in den wechselnden Erzählperspektiven, vor allem aber im Gebrauch des Stilmittels der Wiederholung. Immer wenn Luka von Emotionen überwältigt wird oder auf andere Weise überfordert ist, hält er die Luft an und zählt sich an wie ein Boxer. Dann fällt er prompt in Ohnmacht und muss von Dora wachgeküsst werden. Dies passiert im Roman dreimal. Die einzelnen Szenen wiederholen sich fast im Wortlaut und spiegeln einander. Leitmotivisch wiederholte Passagen wecken natürlich die Aufmerksamkeit des Lesers ganz besonders. Das gilt auch für die von Doras Mutter ein wenig zu oft wiederholte Floskel “schlicht und ergreifend”, die zur Charakterisierung der Figur beiträgt.

Natasa Dragnic hat einen bemerkenswerten Debütroman geschrieben, den man durchaus empfehlen kann, auch wenn diese Liebesgeschichte mit ihren Protagonisten nicht ganz von dieser Welt zu sein scheint.