Ein modernes Märchen voller Lebensweisheiten.

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wedma Avatar

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Auszug aus dem Klappentext: „Es war einmal ein Junge, der die Welt veränderte.
Der Obdachlose Rafael findet in einer Schlucht ein ausgesetztes Baby. Er behält es und nennt den Jungen Juancho. Es stellt sich heraus, dass Juancho jeden Tag ein Jahr altert.
Als junger Mann macht Juancho sich auf, um seine Bestimmung und den Grund für seine Existenz zu finden. Er begegnet der bezaubernden Selina, in die er sich verliebt. Doch darf er sie lieben, wenn ihm nur noch wenige Wochen bleiben?
Um das Rätsel seiner Herkunft zu lösen, setzt er seine gefahrvolle Suche fort. Menschen, die für ihn alles riskieren, eine außergewöhnliche Begegnung und ein Kampf auf Leben und Tod führen ihn zu seiner wahren Bestimmung .“

Der Klappentext beschreibt den Handlungsrahmen ganz gut. Das Eigentliche der Geschichte bleibt jedoch ausgeklammert. So viele Themen und die dazugehörigen Weisheitssprüche zu den Kernfragen des Lebens sind in den Erzählteppich hineingewoben worden, denn jede der Figuren gibt eine Menge davon vor sich, dass man unweigerlich glaubt, in einer Box voller Weisheiten gelandet zu sein. Fast auf jeder Seite, oder auch mehrmals pro Seite, gibt es Ausführungen z.B. zum Talent und was man damit tun soll, zum Bauchgefühl und wie man damit umgeht, zu Gedanken und den Räumen, die sie brauchen, zu den Chancen, die nicht ergriffen werden, zur Angst, Einsamkeit, Mutter-Tochter, Vater-Sohn Beziehung, Partnerschaft, Ehe, zum Umgang mit den Verlusten, zum Leben insg., zum Glück, zur Liebe, Trennung, zum Tod, zur Suche nach der Selbstbestimmung, zu Gott und zur Welt, etc. Manchmal gibt es mehrere Sprüche zum gleichen Thema, z.B. „… Tränen waren die Sprache der Seele…“, „Wer weint, dessen Seele ruft nach Freiheit“. Es ist, als ob das primäre Anliegen des Autors darin bestand, die Leser zu belehren, zumindest die gesammelten Weisheiten mit ihnen zu teilen. Unterhaltungszweck erschien mir da eher zweitrangig.

Zweifelsohne sind es alle schöne Sprüche, tiefe Gedanken und philosophische Ausführungen, gar mini-Geschichten, z.B. aus dem alten China, warum der Weise aufs Wasser schaut uvm., die allesamt auch als Lebenshilfe dienen können. Bei dieser Dichte aber haben sie eher wenig Raum, um sich entfalten zu können. „Wichtig sind stets die Töne, die man nicht spielt, denn sie geben der Melodie Raum und Halt, während die Noten sind wie verglühende Sternschnuppen. Das Dazwischen gibt den Gedanken einen Ort, wo sie verweilen können.“ Diese Zeilen liest man ganz am Anfang, sie beschreiben meine These ganz gut.

Die Figuren sind an sich interessant: ein Psychotherapeut, der mit den Verlusten nicht umzugehen weiß. Eine junge Autorin, die mit zwei Liebesromanen viel Erfolg hatte und will nun etwas schreiben, was auch für sie schreibenswert erscheint. Ihre Erfahrungen und Gedanken zum Thema Schreiben teilt sie in Form eines Vortrags mit. Zu Beginn trifft man Rafa, der etwas zu viel trank, aber eigentlich ein genialer Musiker war. Der Jack, der zum Schluss eine Art philosophischen Religionsdisput liefert und zu seiner eigenen Lösung gelangt. Sie alle haben ihre Probleme, mit denen sie fertigwerden müssen. Und bei allen bewirkt Juancho etwas, was sie weiterbringt.
Juancho, der Held der Geschichte, ist schon recht märchenhaft, in vielerlei Hinsicht. Er altert nicht nur jeden Tag ein Jahr. Eine nette Idee übrigens, auch eine Botschaft, wie er dies verhindern kann. Juancho ist Ausbund der Weisheit. Vom Leben der normalen Menschen weiß er aber nicht so viel.

So recht konnte ich mich mit keiner der Figuren identifizieren und durch die Geschichte zusammengehen. Auch die Wechsel der Erzählperspektiven konnten nichts daran ändern.

Die Geschichte liest sich wie ein modernes Märchen, wobei sie letztendlich auch eine Liebesgeschichte mit all den typischen Elementen ist: Begegnung, Herzschmerz, da Trennung, Liebesszenen, die, Gott sei Dank, recht dezent ausfallen.

Von der Art der Stoffdarbietung hätte das Ganze etwas eleganter ausfallen können. Manche Wortwiederholungen und weniger glückliche Formulierungen, die zu beiden Seiten ausschlagen: entweder hochtrabend-schwülstig oder umgangssprachlich frivol, hätte ich dort lieber nicht angetroffen, wie auch einige überflüssige Erklärungen. Weniger Behauptungen und Berichte hätten auch gutgetan.

Fazit: Eine mal ganz andere Geschichte, die bewusst nicht nach dem konventionellen Muster verläuft und die Leser mit vielen Lebensweisheiten zu den Kernthemen des Daseins versorgt. Den Mut, so etwas den Lesern zu schenken, weiß ich zu schätzen, dafür gibt es Extrapunkte.
Ich vergebe vier Sterne und eine Leseempfehlung für diejenigen, die eine gute, märchenhafte Geschichte voller Weisheiten lesen wollen.