Wunderschöne gefühlvolle Geschichte

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
marionhh Avatar

Von

Der alte Säufer Rafael lebt in einer Höhle in einem kleinen Dorf auf Cran Canaria abseits des Tourismus, hält sich mit Betteln über Wasser und hat mit dem Leben abgeschlossen. Da findet er unverhofft einen kleinen, nur wenige Tage alten Jungen, offensichtlich ausgesetzt. Nach anfänglicher Verwirrung beschließt er sich um den Kleinen zu kümmern, da er sein Herz berührt. Der Junge ist ungewöhnlich: Er wächst jeden Tag ein Jahr, ist außerordentlich klug und kann in die Seele der Menschen sehen und ihr Glück oder Unglück erkennen. Rafael nennt den Jungen Juancho, und Juancho verändert sein Leben. Als Rafael wegen eines Missverständnisses ins Gefängnis kommt, weiß Juancho nicht wohin und beschließt auf Wanderschaft zu gehen. Unterwegs trifft er Menschen, die er vor Unglück bewahrt, und er stellt fest: Wenn er Menschen hilft, altert er nicht ein Jahr pro Tag! Er findet seine große Liebe und bewahrt einen Selbstmörder vor dem Tod, vermisst aber immer noch seinen Papa Rafael. Da zerstört ein schrecklicher Unfall sein Leben, er fällt ins Koma, und seine Freunde setzen alles daran, ihn aus dem Koma erwachen zu lassen und seinen Alterungsprozess zu unterbrechen. Dazu greifen sie zu sehr unkonventionellen Methoden…

Ein außergewöhnlicher, poetischer und sehr gefühlvoller Roman über sehr ungewöhnliche Menschen. Mit leisen aber dennoch kraftvollen Worten versteht es der Autor, Stimmungen zu erzeugen und Charaktere zu schaffen, die einem so zu Herzen gehen, dass man das Buch nicht mehr aus der Hand legen kann. Es ist nicht die große Action, und doch passiert immer etwas, so dass man bis zum Ende am Ball bleiben muss. Mitunter kommt der gute Juancho doch sehr altklug daher, woher er sein Wissen und seinen sprachlichen Ausdruck nimmt bleibt im Dunkeln, doch sind er und alle anderen Charaktere so sympathisch und erfrischend, dass man sie einfach gern haben und nicht mehr missen möchte. Schon das Cover ist ansprechend und herzerwärmend und man sieht den kleinen Jungen, der auf der Suche nach sich selbst und seiner Herkunft ist, förmlich vor sich, will ihn beschützen und in den Arm nehmen. Der Autor hat eine wunderbare, teilweise fast schon poetische Ausdrucksweise, die sehr berührend ist, aber nicht schmalzig, dadurch lässt sich das Ganze sehr flüssig herunterlesen. Die Charaktere sind dermaßen eingängig und vielschichtig, dass hierdurch Spannung erzeugt wird, sie sind gut herausgearbeitet und ihre Geschichten und Hintergründe sind schlüssig. Zwischendurch wird es dann recht philosophisch, doch besonders im letzten Teil und bei Juanchos letzter großer lebensrettender Leistung wird noch einmal ein Gang zugelegt und man klebt an der Geschichte bis zum an sich logischen Schluss, der jedoch für alle klassischen Liebesgeschichten-Happy-End-Liebhaber vielleicht nicht ganz so befriedigend sein dürfte.

Dennoch ist es eine vollendete Liebesgeschichte, es geht um Mutter- und Vaterliebe, um vergebene und vergebliche Liebe, freundschaftliche und leidenschaftliche Liebe und vor allem um die Liebe zu den Menschen. Juancho ist vorurteilsfrei und offen jedem Menschen gegenüber, gleichzeitig ist er auf der Suche nach sich selbst. Seine Verzweiflung über sein Anderssein ist deutlich spürbar, seine genetische Abweichung ist aber keine stumpfe Science Fiction, sondern ein märchenhaftes Element, das seine Besonderheit verdeutlicht und die Geschichte konsequent macht. In manchen Teilen wirkt er fast wie ein Messias, nicht umsonst wird er von den Menschen oft Engel genannt, er scheint nicht von dieser Welt. Gott und Religion sind sowieso und besonders im letzten Teil ein großes Thema, und die teilweise sehr hochgeistigen und philosophischen Ausführungen sind mitunter etwas langatmig und nicht jedermanns Sache, nichtsdestotrotz ist auch diese Hintergrundgeschichte in sich schlüssig. Doch vor allem möchte Juancho so gerne „normal“ sein und letztendlich erreicht er dies auch auf seinem Selbstfindungstrip. Die Menschen, die sich auf ihn einlassen, deren Seele berührt er und verändert auf die eine oder andere Weise ihr Leben zum Besseren. Insofern war der Schluss für mich sehr befriedigend.

Von den Figuren fand ich persönlich Rafael am ergreifendsten, er hat in meinen Augen den vielschichtigsten Charakter, macht die gravierendste Veränderung durch, schließt mit seiner Vergangenheit ab und wird durch die Sorge um und die Liebe zu Juancho geläutert. In Rafa, den Dorfsäufer, schlummert ein musikalischer, gefühlvoller und empathischer Mensch, der andere Menschen glücklich machen kann. Aber auch Selina beeindruckt durch ihre Wandlung vom unsicheren jungen Mädchen zur erwachsenen Frau, die sich ihren Gefühlen stellt und Verantwortung übernimmt.

Fazit: Ein zu Herzen gehender Roman über einen außergewöhnlichen Jungen, der einen ungewöhnlichen Weg gehen muss, um zu sich selbst zu finden. Dies gelingt ihm, indem er anderen Menschen hilft, sie zu besseren Menschen macht und ihnen sogar das Leben rettet. Ein Mensch voll überschäumender Liebe zu allen Menschen, und man fragt sich unwillkürlich, wie man selbst auf so einen kleinen Philosophen in unserer hektischen Welt reagiert hätte. Der Roman hallt nach und regt zum Nachdenken an, wer sich drauf einlässt, kann mit philosophieren, alle anderen lesen einfach eine wunderschöne Liebesgeschichte.