Ein Buch über verlorene Zeit

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
siebente Avatar

Von

Eigentlich wollte ich diesem Bericht einfach nur den Titel „Verlorene Zeit“ geben. Doch das könnte man doppeldeutig verstehen. Man könnte den falschen Eindruck gewinnen, dass es vergeudete/verlorene Zeit wäre, das Buch zu lesen. Das ist aber nicht der Fall. Im Gegenteil.

Eigentlich war mein erster Eindruck vom „Johannisbeersommer“ von Skepsis geprägt. Ein Roman über Frauen, ein Frauenroman, ein Briefroman. Ich befürchtete ein oberflächliches Buch. Doch schon nach den ersten Seiten der Leseprobe bei Vorablesen wurde ich vom Gegenteil überzeugt. Die Figuren waren plastisch, die Geschichte fesselte mich. Klar, dass ich froh war, als ich zu einer der Kandidatinnen fürs Vorablesen ausgewählt wurde und das Buch bei mir ankam. Mehr zum „Johannisbeersommer“ gibt es auf bewährte Weise Stück für Stück.

 

 

Inhaltsverzeichnis:

\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*

1. Die Autoren: Andrea Israel & Nancy Garfinkel

2. Ort und Zeit der Handlung

3. Die Hauptfiguren

\*\*\*a) Val Rudman

\*\*\*b) Lilly Stone

\*\*\*c) Katherine Stone

\*\*\*d) Isaac Stone

\*\*\*e) Kitty Rudman

\*\*\*f) Albert Rudman

\*\*\*g) Ben Gold

4. Die Geschichte

5. Themen

\*\*\*a) Freundschaft

\*\*\*b) Streit

\*\*\*c) Eltern

\*\*\*d) Neubeginn

6. Erzählweise

7. Rezepte

8. Vergleich mit anderen Briefromanen

9. Lesbarkeit der deutschsprachigen Version

10. Zielgruppe

11. Daten zum Buch

12. Pro & Contra

13. Fazit

 

 

1. Andrea Israel und Nancy Garfinkel

\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*

Es ist recht ungewöhnlich, dass ein Roman von zwei Menschen geschrieben wird. Bei Johannisbeersommer ist das aber der Fall.

Auf deutschen Seiten erfährt man bislang ziemlich wenig über Andrea Israel. Es wird lediglich erwähnt, dass sie Fernsehproduzentin und Drehbuchautorin sei.  Erst auf der Seite ihres amerikanischen Verlages gibt es einige weitere Infos. Dort wird nämlich erwähnt, dass sie für „Focus Earth“ und Good Morning America“ gearbeitet hat. Für „Good Mordning America“ wurde sie mit einem Emmy (DER amerikanische Fernsehpreis) ausgezeichnet. Auch für „Anderson Cooper’s 360°“ bei CNN und für die NBC Reihe „Donald’s Eyes“ schrieb sie. Andrea Israel lebt in Brooklyn, New York.

Bei Nancy Garfinkel, Israels Co-Autorin, ist auf den deutschen Seiten auch noch Ebbe. Man erfährt immerhin, dass sie „Foodjournalistin“ und Zeitschriftenredakteurin ist und einen Weinführer veröffentlicht hat. Auf den amerikanschen Seiten steht gar nicht wesentlich mehr, nur so viel, dass auch Garfinkel in Brooklyn, New York, wohnt.

 

 

2. Ort und Zeit der Handlung

\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*

Die Geschichte hat zwei Handlungsstränge. Der eine spielt quasi in der Gegenwart, in den Jahren 2000 bis 2002, der andere von 1964-73. Schauplatz sind die USA, die genauen Orte sind eigentlich nicht so wesentlich. Erst relativ spät in der Geschichte erfährt man quasi nebenbei, das die Handlung vor allem in New York spielt. Dass es sich aber um eine amerikanische Geschichte handelt, merkt man an einigen wesentlichen Bestandteilen, unter anderem an der Art der Rezepte, die die Freundinnen austauschen.

 

 

3. Die Hauptfiguren

\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*

\*\*\*a) Val Rudman

Zunächst lernt man Val als erwachsene Frau kennen, als eine, die verheiratet ist, als Ärztin und Forscherin arbeitet. Sie scheint glücklich und erfolgreich.

Dann begegnet man dem Kind Valerie Rudman. Die jüngere Val hat Selbstzweifel: Sie findet sich weniger schön, selbstbewusst und beliebt als ihre gute Freundin Lilly. Was das Leben, was Partys, was Jungs angeht, hinkt Val Lilly immer einen Schritt hinterher. Aber Val ist klug, sie schafft die Schule problemlos, Mathe macht ihr Spaß. Das beeindruckt Issac, Lillys Vater. Er wird Vals Förderer.

 

\*\*\*b) Lilly Stone

Lilly ist schön und beliebt – so sieht Val ihre gute Freundin. Schnell hat sie in ihrer Freizeit mehr im Kopf als die stillere Val. Schnell hat sie ihren ersten Kuss, schläft mit ihrem ersten Freund, hat wechselnde Beziehungen. Doch auch Lilly ist unglücklich. Ihre Talente zu singen und zu schauspielern, zählen bei ihrem Vater Isaac nicht. Lilly ist (ohne das sie es klar ausspricht) eifersüchtig auf Val, die viel mehr Issacs Aufmerksamkeit hat. Lillys Mutter Katherine ist nur mit sich selbst und ihren, Katherines, ständig wechselnden Freunden beschäftigt.

 

\*\*\*c) Katherine Stone

Sie wird von Lilly Katherine die Große genannt. Lillys Mutter ist Schauspielerin, ist selbstsüchtig, hat ständig Affären. Sie wirkt alles in allem sehr oberflächlich .

 

\*\*\*d) Isaac Stone

Lillys Vater ist Psychater. Auch er wirkt auf andere Weise als seine Frau Katherine verbohrt: Für ihn zählt offenbar Wissen und Klugheit, er bevorzugt Val – und verletzt damit seine Tochter Lilly. Auch gegenüber Vals Mutter Kitty zeigt sich Isaac fürsorglich.

 

\*\*\*e) Kitty Rudman

Kitty ist eine ungwöhnliche Frau: Sie hatte einen Autounfall. Dabei starben Kittys Schwester und Kittys Schwager. Kitty gibt sich die Schuld für den Tod. Schon vorher hatte sie Schwierigkeiten, aus dem Haus zu gehen. Seit dem Unfall hat sie einen echten Knacks weg, bekommt einen Nervenzusammenbruch, wenn sie ihr Zuhause verlassen soll. Kitty liebt ihre Tochter Val, tut sich aber schwer damit, sie los zu lassen. Für Val ist das psychische Problem ihrer Mutter eine gewisse Belastung.

 

\*\*\*f) Albert Rudman

Albert ist wahrscheinlich das blasseste Elternteil der vier. Er ist Vals Vater und er ist Forscher, ein erfolgloser Forscher. Durch Issac wird er immer wieder in den Hintergrund gedrängt.

 

\*\*\*g) Ben Gold

Ben ist Vals Cousin und damit auch der Sohn von Kittys Schwester und Schwager, die bei dem Autounfall starben. Er wächst bei den Rudmans auf. Einerseits ist er für Lilly und Val nicht der schicke Junge, den sie toll finden. Andererseits ist er ihnen aber durchaus ein Freund.

 

 

4. Die Geschichte

\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*

Es ist das Jahr 2000. Vals Mutter Kitty ist gestorben. Nach 26 Jahren der Funkstille fühlt Val den Drang, ihrer alten Freundin Lilly zu schreiben. Lilly ist glücklich, endlich wieder von Val zu hören. Beide sind sich einig, dass es dumm war, so lange nicht miteinander zu reden. Doch ganz schnell werden die alten Spannungen der beiden wieder deutlich. Und sie entscheiden sich, erneut eine Pause einzulegen. Dennoch kramen beide ihre alten Briefe aus der Kindheit wieder heraus, Briefe und Rezepte, die sie sich gegenseitig geschickt haben.

Rücksprung ins Jahr 1964: Schon Katherine Stone und Kitty Rudman waren Freundinnen. Ihre Töchter wuchsen miteinander auf, freundeten sich auch an. Val und Lilly teilten vor allem eine Leidenschaft, die für Kochrezepte. Immer wieder haben sie sich neue Ideen einfallen lassen, egal ob für Kekse oder Kuchen, Gemüse, Suppen, Fleischgerichte. Schnell wird klar, dass die beiden Mädchen aber auch grundverschieden sind. Für die scheue Val ist die selbstbewusste Lilly die allerbeste Freundin, der Mittelpunkt ihres Lebens. Lilly dagegen wird es schnell langweilig, immer nur mit Val zusammen zu sein. Sie beginnt bald, auf Partys zu gehen, interessiert sich früh für Jungs. Val ist auch neugierig, will alle Details von Lillys erstem Mal wissen. Sie selbst fühlt sich aber ungeliebt, glaubt nicht, dass sie je einen Freund haben wird.

Was die Schule angeht, da hat Lilly Val allerdings einiges voraus. Sie überspringt eine Klasse. Da Valss Vater Albert ein glückloser Erfinder ist, bietet Lillys Vater Isaac den Rudmans Geld für Vals Studium an. Nach einigem Hin und Her nehmen die Rudmans das Angebot an. Val ist froh, Distanz zu Kitty zu gewinnen, die seit einem Autounfall, bei dem ihre Schwester und ihr Schwager starben, Angstzustände hat und das Haus nicht mehr verlässt.

Ein Jahr später soll auch Lilly ihr Studium beginnen, so der Wunsch von Isaac. Doch Lilly hat andere Pläne, will als Sängerin groß raus kommen. Das Studium ist ihr eine Qual. Sie erhält die Chance, in einer Casting-Show aufzutreten.

Achtung, im nächsten Absatz werde ich ein wenig etwas verraten. Wer sich die volle Spannung erhalten will, ließt am besten erst beim nächsten Punkt weiter. Ich werde aber, und das verspreche ich, einige wesentliche Pointen noch nicht vorweg nehmen.

Val will wissen, wie es für Lilly gelaufen ist. Doch außer einer kurzen Nachricht, dass sie eine Pause brauche, lässt Lilly nichts von sich hören. Val forscht nach und sucht auch Rat bei Isaac. Genau das bringt die Freundschaft zum Zerreißen. Denn sie verrät Issac im Vertrauen, dass Lilly das Studium hinten an gestellt hat und als Sängerin groß raus kommen will. Isaac ist zutiefst enttäuscht und sauer auf Lilly. Und Lilly ist sauer auf Val. Sie beschuldigt die Freundin, sie verraten zu haben. Und sie ist eifersüchtig, dass Val einen besseren Draht zu Isaac, zu ihrem (Lillys) Vater hat als sie selbst.

 

 

5. Themen

\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*

\*\*\*a) Freundschaft

Freundschaft ist wahrscheinlich DAS zentrale Thema der Geschichte. Fast jeder hat einen als Kind/Jugendlicher einen besten Freund/eine beste Freundin gehabt. Einerseits war man wie selbst gewählte Geschwister, hat jedes Geheimnis miteinander geteilt, hat die Welt zusammen entdeckt, hat Abenteuer miteinander erlebt und Sorgen besprochen. All das verbindet auch Val und Lilly. Sie waren wie Schwestern, aber sie waren auch grundverschieden: Die stille, in sich gekehrte Val, die kaum Selbtbewusstsein hatte, die aber auch durch ihre Cleverness bei Lillys Vater punkten konnte. Und die viel coolere Lilly, die schon als junges Mädchen ein wenig in die Fußstapfen ihrer fast schon mannstollen Mutter trat, die Sympathien der Jungen auf sich zog und viel früher als Val ihren ersten Freund hatte. Schule zählte für Lilly weniger. Wahrscheinlich ist es genau etwas, was Freundschaft ausmacht, dass völlig verschiedene Menschen einander trotzdem mögen, vertrauen, dass sie einander wichtig sind und über diese Unterschiede hinweg sehen.

Das was, Lilly und Val trotzdem verband, war vor allem ihr Rezeptclub. Beide liebten gute Gerichte, beide fanden es toll, immer neue Koch- und Backrezepte miteinander auszutauschen. Das zweite Band zwischen den beiden war wahrscheinlich die gemeinsame Vergangenheit, die Erinnerung an die Erlebnisse, die sie miteinander hatten.

Doch reicht das? Reichen die Vergangenheit und eine gemeinsame Leidenschaft, um zwei Menschen auf Dauer zusammen zu halten? Bei Lilly und Val war das nicht der Fall. Vor allem zwei Dinge, die auch immer wieder bei Freunden eine Rolle spielen, sorgten für den Bruch: Da war zum einen Eifersucht. Denn Lillys Vater Isaac war immer stärker für Val da, für die Art von schlauer Tochter, die er sich immer gewünscht hat. Und da war die Frage des Vertrauens: Lilly fühlte sich von Val verraten und brach den Kontakt deswegen ab.

Genau das, was Israel/Garfinkel hier an Freundschaft darstellen, ist etwas, was viele Leser/innen aus eigener Erfahrung kennen. Genau das ist sicherlich ein Reiz an dieser Geschichte, dass man sich vor allem als Leserin in den beiden Mädchen und ihrer Freundschaft wieder erkennen kann.

 

\*\*\*b) Streit

In den meisten Freundschaften kommt es über kurz oder lang zum Streit. Das ist einfach so, selbst wenn zwei Menschen sehr ähnlich denken. Irgendwann gibt es Meinungsverschiedenheiten, gibt es unterschiedliche Interessen oder Eifersucht. Alles drei kam bei Lilly und Val zusammen. Sie waren vom Typ sehr verschieden, die eine (Lilly) wollte Silvester lieber auf Partys gehen, Val wollte den Start ins neue Jahr lieber alleine mit Lilly feiern. Und dann war da die Eifersucht: Val bewunderte Lilly für ihre Unabhängigkeit und für ihre Chancen bei den Jungens, Lilly beneidete Val dafür, dass Val bei Lillys Vater Isaac viel mehr Anerkennung und fast schon Liebe hatte.

In vielen Freundschaften werden solche Streitereien nach kürzerer oder längerer Zeit überwunden. Doch grade Isaac stand zwischen den Freundinnen, die Frage, was sie ihm und was sie einander anvertrauen konnten und die Frage, wen er mehr liebte, stand zwischen den beiden und sorgte dafür, dass die sehr enge Freundschaft für mehr als 20 Jahre unterbrochen war.

 

\*\*\*c) Eltern

Die beiden Autorinnen Israel/Garfinkel haben vier ganz unterschiedliche Elternteile gezeichnet. Jeder hat Eltern, die er besonders findet (weil sie einen besonderen Beruf haben, besondere Hobbys oder Eigenschaft), fast jeder liebt seine Eltern für diese Eigenheiten oder trotz dieser Eigenheiten.

Speziell die Mütter von Val und Lilly sind extrem. Lillyss Mutter Katherine Stone (Katherine die Große) ist eine extrem unabhängige Frau, sie ist Schauspielerin und sie hat ständig neue Affären, von denen ihr Mann weiß. Katherine ist, so meine klare und harte Meinung, keine gute Mutter. Ihre Tochter Lilly läuft nebenher, Katherine zeigt kaum Interesse an ihr, zeigt ihr kaum Liebe.

Kitty dagegen erdrückt ihre Tochter Val fast mit ihrer Liebe. Sie ist durch ihre Angstzustände ans Haus gefesselt und würde auch gerne haben, dass Val möglichst viel bei ihr ist und möglichst viel Zeit mit ihr verbringt.

Auch die Väter der beiden Freundinnen sind gegensätzlich: Albert ist ein erfolgloser Erfinder, einer, der auch für Val und Lilly eher eine Randfigur ist. Isaac wird zwar von seiner Frau betrogen, ist aber erfolgreicher Psychater und enger Freund von Familie Rudman. Er ist es, der Vals Mutter Kitty immer wieder besucht und behandelt, er ist es, der das Geld hat und gibt, damit Val auf ein gutes College gehen kann. Gerade die Tatsache, dass er sich um eine fremde Familie mehr unterstützt als seine eigene, dass er Val mehr Anerkennung schenkt, als seiner Tochter Lilly, dass er Vals intellektuelle Fähigkeiten mehr zu schätzen weiß als Lillys Talente als Künstlerin und Köchin, sorgt für den großen Bruch in der Freundschaft von Lilly und Val.

 

\*\*\*d) Neubeginn

Die Geschichte „Johannisbeersommer“ beginnt mit einem scheinbaren Neubeginn der Freundschaft von Val und Lilly. Ja, scheinbar. Denn die Wunden sind tiefer, als die beiden nach 26 Jahren Funkstille gedacht haben. Es war kein kleiner Streit um ein falsch gesagtes Wort, um einen kleinen Fehler. Es gab ein grundsätzliches Problem zwischen beiden, ein Problem, das Isaac hieß. Es ging nicht darum, dass Val ihm Dinge über Lilly verraten hat (dass Lilly das Studium abgebrochen hatte und lieber singen wollte). Es ging auch nicht nur darum, dass Isaac Vals Studium gesponsert hat. Es war die grundsätzliche Tatsache, dass Isaac zwischen beiden stand, dass er die Freundin seiner Tochter, Val, seiner Tochter Lilly vorzog. Dass ihm Vals Klugheit mehr imponierte als Lillys künstlerische Talente. Vielleicht war auch ein Grund, dass Lilly stark ihrer Mutter Katherine ähnelte. Für Isaac, den betrogenen Ehemann schien das wie eine Wiederholung der Geschichte, dass auch Lilly nie eine dauerhafte Beziehung hatte.

All das stand zwischen Lilly und Val. Der Neubeginn sollte an einem grundsätzlichen Wendepunkt in Vals Leben starten, mit dem Tod von Vals Mutter Kitty. Val suchte in gewisser Weise Trost und ein Stück der Vergangenheit, indem sie wieder mit Lilly Kontakt suchte. Doch das Problem war, dass die Wunden zu tief waren. Lilly, die inzwischen einen eigenen Catering-Service hatte, aber immer noch unverheiratet war, hatte immer noch nicht die volle Anerkennung ihres Vaters. Und Val war beruflich erfolgreich und mir ihrem Ehemann Jeff privat glücklich.

Die Gegensätzlichkeiten waren also immer noch da und erschwerten den Neubeginn der Freundschaft. Mehr will ich hier gar nicht verraten ...

 

 

6. Erzählweise

\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*

„Johannisbeersommer“ ist in weiten Teilen ein Briefroman. Er besteht aus E-Mails und vor allem klassischen Briefen, die Val und Lilly einander schreiben. Das erinnert auf den ersten Blick zum Beispiel an den großen Erfolg des Österreichers Glattauer mit „Gut gegen Nordwind“. Es erinnert mich auch an „Für immer vielleicht“ von Cecilia Ahern. Allerdings ist die Ausgangssituation etwas anders. Bei den beiden genannten Romanen schreiben sich ein Mann und eine Frau. Hier sind es zwei Mädchen/Frauen, die per Brief und E-Mail ihre Sorgen, Nöte und schönen Momente austauschen. Grundsätzlich funktioniert diese Funktion des Erzählens. Es liegt zwar oft ein Zeitabstand zwischen den einzelnen Schreiben. Oft haben sich Lilly und Val in der Zwischenzeit getroffen. Doch es ist nie so, dass man das Gefühl hat, dass es Lücken im Ablauf der Geschichte gibt, der Leser verpasst nichts in der Zeit, die zwischen den Briefen vergeht. Denn die beiden greifen oft auch Treffen auf, indem sie von einer gemeinsamen Party schreiben oder schon überlegen, wie der nächste Silvesterabend ablaufen soll.

Zwischen den Briefen findet man im Buch immer Rezepte, denn die Briefe sind gleichzeitig das Werkzeug, mit dem die beiden ihre Rezepte austauschen und so ihren Rezeptclub voran treiben. Sie sind ein wesentlicher Punkt, der die beiden Freundinnen auch wirklich lange und eng verbindet.

So weit der inhaltliche Aspekt. Dann ist da noch der Aspekt des Lesens. „Johannisbeersommer“ hat mehr als 400 Seiten. Da aber immer auch ein bis zwei Seiten pro Brief für die Rezepte drauf gehen und einige Briefe auch vor dem Ende der Seite enden, ist das Buch tatsächlich vom „Netto-“ Text her wesentlich kürzer.

Und es gibt noch eine Besonderheit: Gegen Ende brechen die Autorinnen das Prinzip des Brief- und Rezepteromans nämlich auf. Auf einmal hat man eine klassische Erzählung aus der dritten Person. Dazwischen gestreut sind Zeitungsartikel und Todesanzeigen. Auch das ist zwar besonders und auf gewisse Weise interessant. Aber es ist schon auch ein Stilbruch. Ich persönlich hätte es wahrscheinlich besser gefunden, wenn Israel/Garfinkel konsequent bei der Erzählweise per Brief und E-Mail geblieben wären.

 

 

7. Rezepte

\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*

Die Rezepte machen den „Johannisbeersommer“ zu etwas besonderem. Ich habe das Buch aber nicht in erster Linie wegen der Rezepte gelesen, auch wenn ich einige von ihnen sehr interessant finde. Ich bin keine gute Köchin und Bäckerin und kann daher nicht mit fachlichen kennerischem Blick beschreiben, wie gut die verschiedenen Rezepte (egal ob Fleisch- oder Fischgericht, Kekse oder Kuchen) in der Realität schmecken. In vielen der Gerichte kommt Knoblauch vor, in vielen anderen Olivenöl. Alles in allem ist die Mischung aber sehr abwechslungsreich. Es ist sicher für fast jeden etwas dabei.

Da sind zum Beispiel „Muttis Makkaroni mit Käse“. Zunächst hat man die Zutatenliste. Dann wird Punkt für Punkt beschrieben, wie man das Gericht zubereitet. Es gibt aber auch den „Party-Käsekuchen“ oder „Karamellmandelküsschen“, Karamellbonbons, die aber etwas anders gehen als das, was viele als Kind gemacht haben, nämlich aus Butter und Zucker über einer Kerzenflamme Bonbons zusammen zu backen. Einige Gerichte beziehen sich auch direkt auf das, was Lilly und Val erleben, so das „Verzeih-Mir-Tarpenade-Toastbrot“.

Leider fehlt ein Inhaltsverzeichnis, mit dessen Hilfe man ein bestimmtes Gericht schnell wieder finden kann. So muss man doch ziemlich blättern, da die Gerichte innerhalb des Romans keine echte Reihenfolge (zum Beispiel in Form einer Reihenfolge eines Menus mit Vorspeise = Suppe/Salat, Hauptgericht, Zwischengang, Nachtisch, Kuchen) haben.

 

 

8. Vergleich mit anderen Briefromanen

\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*

Dieses Thema habe ich vorhin ja schon leicht angeschnitten. Vor allem zwei zeitgenössische Romane sind mir als Vergleich direkt in den Sinn gekommen: Glattauer „Gut gegen Nordwind“ und Aherns „Für immer vielleicht“. Bei allen dreien funktioniert die Erzählweise, die Geschichte fast ausschließlich mit Botschaften, die die Figuren austauschen, voran zu treiben.

Der große Unterschied liegt darin, dass es (wie schon erwähnt) bei Glattauer und Ahern vor allem um Mann-Frau-Beziehungen geht, während bei Israel/Garfinkel die Freundschaft an erster Stelle steht.

Es gibt aber noch weitere Unterschiede: „Für immer vielleicht“ beinhaltet wirklich verschiedenste Arten der schriftlichen „Kommunikation“, auch SMS. Israel/Garfinkel spielen mit der altmodischen Art des Briefes und der moderneren Form der E-Mail, „Gut gegen Nordwind“ setzt vor allem auf dem Mails.

 

 

9. Lesbarkeit der deutschsprachigen Version

\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*

Die deutschsprachige Ausgabe ist gut und flüssig lesbar. Mir sind keine größeren Ungereimtheiten aufgefallen. Ich bin lediglich über zwei Kleinigkeiten gestolpert. Zum einen fiel in einem der Briefe aus den frühen Siebziger Jahren der Ausdruck geil. Soweit ich weiß, war das Wort damals noch nicht so gebräuchlich zwischen Kindern. Zum anderen fehlte einmal bei einem Wort ein Buchstabe. Ansonsten eine saubere Übersetzung von Franziska Weyer.

 

 

10. Zielgruppe

\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*

„Johannisbeersommer“ ist eher ein Frauenroman. Anfangs hätte ich das noch bestritten, aber zwei Frauen (Val und Lilly) stehen ganz klar im Vordergrund. Als männliche Figuren spielen zwar die beiden Väter (vor allem Isaac) und der Cousin Ben eine gewisse Rolle. Doch die ist deutlich kleiner und unwichtiger als die der zwei Freundinnen. An sich dachte ich, dass der Roman tendenziell eher etwas für Frauen Ende Vierzig sei – denn so alt sind Val und Lilly zu Beginn der Geschichte. Doch dann kommt es zu den Rückblicken, ein Großteil der Handlung befasst sich mit den jungen Mädchen, in denen sich auch jüngere Frauen wieder finden können.

Männer werden „Johannisbeersommer“ vor allem dann interessant finden, wenn sie neugierig sind, wie sich insgesamt Freundschaften/menschliche Beziehungen entwickeln und verändern und wenn sie Kochrezepte gut leiden mögen.

 

 

11. Daten zum Buch

\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*

Johannisbeersommer

von Andrea Israel (Autor), Nancy Garfinkel (Autor), Franziska Weyer (Übersetzer)

Broschiert: 400 Seiten

Verlag: List Tb. (August 2010), 8,95 Euro

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3548610196, ISBN-13: 978-3548610191

Originaltitel: The Recipe Club

Ich habe durch vorablesen.de ein kostenloses Rezensionsexemplar erhalten. Es heißt ja „Man schaut einem geschenkten Gaul nicht ins Maul“. Trotzdem zwei kritische Anmerkungen: Das Buch ist bei mir leider zerknickt angekommen. Es war schlecht verpackt worden, die beiden Ecken des hinteren Covers haben dadurch Schaden genommen. Ehrlich gesagt wundert es mich, dass der Verlag die eigenen Bücher so sorglos verschickt. Ich habe kurz nachgefragt, bzw. darauf hingewiesen und leider keine Antwort bekommen.

Der zweite Nachteil ist die Qualität des Covers an sich. Es ist leider recht dünn und „billig“. Ich gehöre normalerweise zu den Leuten, die sehr vorsichtig mit Büchern umgehen. Leseknicke gibt es bei mir nur sehr selten. Der Johannisbeersommer hat (obwohl ich ihn recht zügig und vorsichtig gelesen habe) mehrere bekommen. Denn die Bindung ist offenbar nicht sehr fest, die Seiten sind beim lesen automatisch (ohne dass ich das Buch festhalten oder runter drücken musste) nach rechts und links gefallen.

 

 

12. Pro & Contra

\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*

Pro

- ungewöhnliche Erzählweise

- Kombination mit Rezepten

- plastische Figuren

- unterschiedliche Charaktere

- gut weg zu lesen

 

Contra

- doch etwas klischeehaft

- Frauenroman

 

 

13. Fazit

\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*\*

Der „Johannisbeersommer“ von Andrea Israel und Nancy Garfinkel ist ein ungewöhnliches Buch. Das ist zum einen der Fall, weil der Großteil der Geschichte in Form von Briefen geschrieben ist. Durch diese Briefe gelingt es den beiden Autorinnen, ihre Figuren plastisch und auch glaubwürdig zu machen. In ihnen und in den anderen Charakteren des Romans kann man durchaus sich oder andere Menschen wieder entdecken. Ich habe den Roman in nur zwei Tagen weg gelesen, es ist eine angenehm leichte Lektüre. Der Sog lag für mich darin, dass ich wissen wollte, ob die beiden Freundinnen wieder an alte Zeiten anknüpfen können. Zum Schluss halten Israel und Garfinkel noch ein paar Überraschungsmomente bereit, die ich hier bewusst nicht näher erwähnt habe. 

Eigentlich klingt es hier an diesem Moment nach dem perfekten Roman für mich. Doch leider kann ich nicht ganz ohne Wenn und Aber den „Johannisbeersommer“ loben. Es gibt für mich zwei wesentliche Minuspunkte. Es wird in Teilen doch ein wenig zu sehr ein klischeehafter Frauenroman, zu sehr ein Mädchen- und Frauending. Wahrscheinlich werden einige Männer beim Lesen des Berichtes schon frühzeitig gesagt haben „Nichts für mich“ und wahrscheinlich werden auch so manche Frauen zustimmen, auch ich bin an sich nicht die klassische Leserin eines Frauenromans.

Trotzdem ist es eine angenehm leichte Lektüre, eine, die zum Mitschmunzeln und zu Mitgefühl einlädt und eine, die Dank der vielen sehr unterschiedlichen Kochrezepte sicherlich für wohl duftende Gerüche und für wohl schmeckende Gerichte sorgen wird. Vier Sterne für den Johannisbeersommer von mir – und Empfehlung.