Familienaufstellung am Strand
Eigentlich hat Ludmilla, von allen Lou genannt, es geschafft: Sie ist promovierte Kunsthistorikerin und Galeristin, mit einem bekannten Pianisten verheiratet und gemeinsam haben sie eine kleine Tochter, Rosa. Trotzdem fragt sie sich, was genau ihre Identität ausmacht, sind sie jüdisch oder vielleicht nicht jüdisch genug, schließlich hat das Kind noch nie eine Synagoge von innen gesehen. Lou will das ändern, doch das Leben in Berlin macht eine Identitätssuche, ob religiös geprägt oder nicht, nicht gerade einfacher. Zu verzweigt ist die Familie: ursprünglich aus Aserbaidschan stammend leben nur ihre Mutter und sie in Deutschland, der Rest der Verwandtschaft lebt in Israel. Und ihr Mann Sergej stammt eigentlich aus Russland, ist aber sowieso selten da, weil er ständig auf der ganzen Welt Konzerte gibt und dabei stets unerschütterlich erscheint. Doch als seine Fassade zu bröckeln beginnt, fängt auch Lou an, sich mit ihrer fernen und nicht ganz so fernen Geschichte auseinanderzusetzen. Da passt es gut, dass ihre Großtante ihren neunzigsten Geburtstag im Kreise der erweiterten Familie in einem etwas in die Jahre gekommenen Resort auf Gran Canaria feiern möchte. Lou macht sich mit Mutter und Tochter auf den Weg und lernt so einiges Neues über sich und die Familie. Olga Grjasnowas Roman erzählt die Geschichte einer Identitätssuche auf eine sehr eigene und unterhaltsame Art, sie beschreibt mit Humor, wie viele Aspekte ein Selbst ausmachen und wie schwierig es ist, alle Teile zusammenzudenken. Religion und Herkunft stehen dabei zwar oft im Vordergrund, allerdings geht es auch um Mutterschaft, Selbstverwirklichung und der Frage, wann und wie eine Beziehung noch zu retten ist. Das Buch kommt leicht daher, behandelt dabei aber ernste Themen, die noch länger nachhallen. Am Ende zerfasert die Geschichte zwar ein wenig, aber das hat mich nicht gestört, ich habe den Roman trotzdem gern gelesen.