Spannende Auseinandersetzung mit der Identitätsthematik

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maikäfer_012 Avatar

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Das Cover von Grjasnowas neustem Roman fand ich bereits vor der Lektüre durchaus ansprechend, auch wenn ich die Covergestaltung besser nachvollziehen konnte, nachdem ich auch die Geschichte gelesen hatte. So passt das Cover jedoch gut zu Lous Geschichte.

Dieser Roman erzählt die Geschichte von Lou und ihrer Familie, die versucht, ihren Platz im Leben zu verstehen. Dabei hinterfragt sie ihre Identität, wobei der Fokus besonders auf dem jüdischen Glauben liegt. Diese Zweifel (auch an einer bestimmten Zugehörigkeit) führen zu einem Hinterfragen genereller Handlungen und Glaubenssätze.
Die Thematik ist nicht nur unfassbar interessant, sondern von Olga Grjasnowa auch wirklich gut umgesetzt.
So geht die Autorin nicht nur auf nachvollziehbare Fragen der Identität ein, sondern greift auch andere wichtige Themen auf. Sie behandelt den Zusammenhalt einer Familie und lässt auch politische Themen nicht außer Acht.
Dies finde ich sehr sinnvoll, um die grundsätzliche Situation zu umreißen, da eine jede Identität von vielen unterschiedlichen Faktoren geprägt wird, die alle eine Rolle spielen.

Dies macht Grjasnowa in einem Schreibstil, den man bereits aus ihren anderen Werken kennt: Kurze Kapitel, die einen übersichtlichen Roman schaffen; keine stark verschachtelten Sätze; teilweise eine Erklärung, für die den Leser:innen potentiell unbekannte Begrifflichkeiten.
Ich mag ihren Schreibstil sehr und empfand auch dieses Buch als sehr angenehm zu lesen.

Die Figuren sind interessant und vielschichtig. Auch wenn ich Lous Verhalten nicht immer nachvollziehen konnte, habe ich mit ihren Erlebnissen mitgefiebert.
Interessant fand ich jedoch auch die Ähnlichkeiten zwischen Lou und anderen Protagonistinnen der Autorin, wie beispielsweise Mascha aus ihrem Romandebüt. So erkennt man insgesamt auch einige weitere Parallelen zu anderen Büchern der Autorin.
Als die Familie auf Gran Canaria zusammenkommt, hatte ich jedoch Schwierigkeiten, alle Figuren auseinanderzuhalten, da dort viele unterschiedliche Charaktere auf einmal vorgestellt wurden.

Auch wenn in dem Roman nur bedingt Spannung aufgebaut wird, nimmt der Roman eine Wendung, die ich so nicht erwartet hatte, und die es mir fast unmöglich gemacht hat, das Buch aus der Hand zu legen. Dazu war ich zu neugierig, wie der Roman endet.
Das verhältnismäßig offene Ende des Romans lässt Spielraum für eigene Interpretationen, auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass die Autorin noch einige der Fragen, die im Laufe des Romans aufgekommen sind, beantwortet hätte.

Fazit:
Die Protagonistin stellt fest, dass Geheimnisse bzw. veränderte Geschichten ein fester Bestandteil ihres Lebens und der Geschichte ihrer Familie sind. Im Laufe der Geschichte beginnt sie, auch dies zu hinterfragen.
Damit hat dieser Roman für mich eine wichtige Message: Es bringt nichts, die Geschichte zu verändern. Die Vergangenheit sollte nicht verändert oder dem eigenen Gewissen angepasst werden. Es ist wichtig, sich mit solchen Dingen auseinander zu setzen.
Damit hat Grajsnowa wieder einmal einen tollen Roman geschaffen, der unterhaltsam, aber mit Tiefgang den Menschen hinterfragt.
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und die Frage, woraus sie besteht, was einen als Individuum ausmacht, ist scharfsinnig und angenehm zu lesen.