Der Sheriff von Raufarhöfn

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evelynm Avatar

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Im beschaulichen Raufarhöfn auf der Halbinsel Melrakkaslétta im Nordosten von Island lebt Kalmann. Der 34jährige ist ein Mann mit der Seele eines Kindes.
Alles, was Kalmann weiß und was ihm wichtig ist, hat er von seinem inzwischen dementen Großvater gelernt - vom richtigen Umgang mit Frauen bis übers Jagen von Wildtieren hin zum Zubereiten von Gammelhai/Hákarl wurde er aufs Leben vorbereitet. Einerseits finde ich es erstaunlich, dass gerade der respektvolle Umgang mit Frauen. Es wäre töricht, Kalmann für dumm zu halten und seine Intelligenz zu unterschätzen. Er erinnert zwar etwas an Forrest Gump und erscheint naiv, doch letztlich ist er anders, so wie viele Menschen anders sind und das ist keinesfalls negativ gemeint. Kalmanns Talent für Erdkunde und Geografie ließ mich an Autismus denken. Jedenfalls wird Kalmann von den Bewohnern von Raufarhöfn akzeptiert wie er ist – wenn er z.B. mit Cowboyhut und Sheriffstern samt Halfter mit Mauser als Sheriff von Raufarhöfn durch den Ort geht. Gerade diese Akzeptanz hat mich berührt, zeigt es doch, dass jeder Mensch seinen Platz in der Gesellschaft haben kann.
Eines Tages wird das ruhige Leben im Ort durch das Verschwinden des Königs von Raufarhöfn, Róbert McKenzie, erschüttert. Der Hotelbesitzer ist unauffindbar und so machen sich die Bewohner nicht nur ihre Gedanken, sondern die Polizei in Gestalt der Polizistin Birna kommt zu Ermittlungen in das Dorf. Offensichtlich scheint niemand Róbert ernsthaft zu vermissen, denn er hat sich durch seine Art keine Freunde gemacht. Kalmann hat bei der Fuchsjagd eine Entdeckung gemacht, die darauf schließen lässt, dass dem Hotelier etwas zugestoßen ist. Ein Blutfleck im Schnee … Kalmann unterhält sich mit seinem Internetfreud Noí über die Geschehnisse in Raufarhöfn und Noí ist nur allzu gerne bereit, im Internet zu recherchieren und Verdächtigungen gegen die Bewohner des Ortes zu erheben. Es scheint für ihn ein spannendes Spiel zu sein. Doch so leicht lässt sich Kalmann nicht für dessen Ideen gewinnen und macht sich seine eigenen Gedanken. Ein weiteres unerwartetes Ereignis bringt die Dorfgemeinschaft in Aufruhr und nach wie vor gibt es keine Spur von Róbert. Weiß Kalmann mehr als er sagt?

Joachim B. Schmidt schafft in seinem Buch eine intensive Atmosphäre, in der Kalmann nie der Lächerlichkeit preisgegeben wird und auch der Einzelgänger und Internetfreud „ohne Gesicht“ Noí seinen Platz findet. Der Roman erzählt eine Zeitspanne aus dem Leben von Kalmann im kühlen Island, von seiner Einzigartigkeit und wie er durch seine Liebenswürdigkeit mein Herz berührt. Es handelt sich nicht nur um einen Roman, sondern auch einen gut erzählten Krimi rund um das Verschwinden eines Mannes. Mir gefiel diese leise Geschichte von Anfang an sehr gut. Das Verschwinden von Róbert McKenzie machte einen zusätzlichen Reiz für mich aus, da ich Krimis und Thriller liebe.

Kalmann, der Sheriff von Raufarhöfn, mit Cowboyhut, Sheriffstern und Mauser mag zwar ein amüsanter Anblick sein, doch wer denkt, dass er naiv oder gar dumm ist, irrt sich gewaltig. Er ist reflektiert, weiß sehr wohl, dass er z.B. nicht ok ist, jemandem weh zu tun, auch wenn er zu Wutanfällen neigt. Kalmann hat einen guten Blick auch für Kleinigkeiten, selbst wenn er sie nicht immer richtig einzuordnen weiß.

Kalmann brachte mich übrigens dazu, mich mehr für Island zu interessieren und ich habe nicht nur über das Monument Arctic Henge und Raufarhöfn nachgelesen.

Das Ende des Buches hat mich überrascht, tief getroffen und für Kalmann ganz und gar eingenommen. „Kalmann“ hat mich berührt, überrascht, wunderbar unterhalten und die Spannung um den vermissten König von Raufarhöfn hat mein Lesetempo merklich erhöht. Schade, dass ich mich nun von Kalmann verabschieden muss.