Der Sheriff von Raufarhövn

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Der Diogenes Verlag hat diesen Herbst mal wieder ein sehr starkes Programm voller ungewöhnlicher Erzählstimmen. Während es bei Lewinsky, Der Halbbart ein Junge in einem kleinen Dorf in der Schweiz zu Beginn des 14. Jahrhunderts ist, ist hier der Erzähler ein junger Mann, der eine intellektuelle Behinderung hat. Auch wenn er nicht so schnell denkt wie andere und manchmal aggressive Ausbrüche hat, vor allem gegen Gegenstände und gegen sich selbst, hat er oft recht weise Einsichten. Kalmann ist gut integriert in seinem isländischen Städtchen Raufarhövn, das einstmals reich und blühend war, aber nach dem Niedergang des Heringsfangs unter Abwanderung und mangelnden Perspektiven leidet. Kalmann sieht man oft mit Cowboyhut und Sheriffstern, ein Geschenk seines amerikanischen Vaters, damit fühlt er sich sicherer und selbstbewusster. Er ist ein guter Jäger und der beste Haifischer und Produzent von Gammelhai weit und breit. Damit lockt er sogar seinen dementen Großvater, den er regelmäßig im Heim besucht und der seine wichtigste Bezugsperson ist, immer wieder aus seiner verworrenen Welt. An dem Tag, an dem die Geschichte beginnt, findet Kalmann im Schnee eine große Blutlache. Gleichzeitig ist der reichste Mann im Ort, der Einzige, der noch eine brauchbare Fangquote hat, der Besitzer des Hotels, der mit einem Denkmal versucht, den Tourismus anzukurbeln, verschwunden. Schnell wird ein Verbrechen vermutet, aber es gibt wenige Hinweise.
Im Buch-Trailer des Verlags wird dieser Roman als „Forrest Gump meets the Coen Brothers“ beschrieben und das trifft es nicht schlecht.
Kalmann ist ein interessanter Bursche, man folgt seinen Gedanken gerne, er beobachtet gut, ihm fallen Dinge auf, die anderen verborgen bleiben. Und so wird die ohnehin schon spannende Geschichte aus seiner Perspektive noch interessanter.
Dem Autor ist es hervorragend gelungen zu vermitteln, wo Kalmanns Defizite liegen, gleichzeitige bleibt seine Sprache, wenn auch einfach gehalten, immer literarisch und sehr schön zu lesen. Eine tolle Geschichte, die wunderbar erzählt wird. Das Setting im winterlichen Norden Islands trägt natürlich dazu bei. Allerdings ist Kalmann alles andere als ein typischer Islandkrimi. Es gibt einen Vermissten, es gibt eine Blutlache, die Polizei ermittelt, aber im Vordergrund stehen Kalmann, sein Alltag, sein Umfeld und die Menschen in der Stadt.
Eine außergewöhnliche Erzählstimme, eine spannende Geschichte und ein berührender Roman. Ein Buch, das man sich in diesem Herbst nicht entgehen lassen sollte!