Großartiger nüchterner Humor gepaart mit erfrischendem Schreibstil und einer gehörigen Portion Gesellschaftskritik

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janine_napirca Avatar

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Kalmann Odinsson ist der von Joachim B. Schmidt ins Leben gerufene Held des gleichnamigen Romans. Er ist Single, 34, lebt am Arsch der Welt in Raufarhöfn, 609km von Islands Hauptstadt Reykjavik entfernt, und hat eine nicht näher definierte Behinderung, die sich unter anderem auf sein Gedächtnis und auf zwischenmenschliche Beziehungen auswirkt. Er wünscht sich eine Frau, zwischenzeitlich besucht er regelmäßig seinen an Demenz erkrankten Großvater, der für ihn zeitlebens einen Vaterersatz darstellte, da sein leiblicher Vater - Amerikaner - aktiv keine Rolle in seinem Leben spielt, im Pflegeheim. Er hat ihm lediglich einen Sheriffhut und eine Mauser hinterlassen. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er, den Fußstapfen seines Großvaters folgend, als Haifischjäger.

Als eines Tages Róbert McKenzie verschwindet und Kalmann eine Blutlache im Schnee entdeckt, kommt Rollen in die vom wirtschaftlichen Zerfall bedrohte isländische Kulisse.

Durch die Schilderung der Geschichte aus der Perspektive des Protagonisten werden gesellschaftliche Probleme einfach erklärt, auf den Punkt heruntergebrochen: Lohnungleichheit, Überfischung der Meere, Kapitalismus, Klimawandel, Politikverdrossenheit, Rassismus, schlecht bezahlter sozialer Sektor, Alkoholismus - die Liste scheint endlos zu sein.

Der Roman glänzt für mich vor allem durch den nüchternen, zeitweise schon fast makaberen Humor und den lebendigen, authentischen und erfrischenden Schreibstil des Autors. Mehr soll an dieser Stelle jedoch nicht verraten werden - einfach selber lesen, lohnt sich! ;)



Hier meine Lieblingszitate:



Ein Meer sieht immer so aus, als wäre es noch nie von jemandem berührt worden, ausgenommen dem Wind. Ist es nicht seltsam, dass man nur mit Luft Spuren auf dem Wasser machen kann?



Wir wissen überhaupt sehr wenig. Und ich finde das ganz tröstlich, denn ich weiß ja auch nicht viel über die Welt, und wer so tut, als hätte er auf alle Fragen eine Antwort, hat einen Schaden und mehr nicht.



Aber weil sie so müde und irgendwie abwesend war, war es ihr egal, wie viel Kaugummi ich kaute, und darum stopfte ich einen Kaugummi nach dem anderen in meinen Mund, bis der Knollen so groß wie ein Golfball war und ich noch tagelang Muskelkater im Gesicht hatte.



Ich bin vergesslich. Und das ist eine meiner Schwächen. Ich kann wichtige Sachen einfach so vergessen. Vor allem, wenn ich aufs Meer fahre. Als würde das Meer alle Erinnerungen schlucken, oder als würde sich das Gehirn wegen seiner Größe ausweiten, und die Erinnerungen sind dann tief drin verborgen wie eine Flaschenpost im Ozean.



Das Lieblingsgericht der Falken ist Schneehuhn, und wenn es nur wenige Schneehühner gibt, gibt es wenige Falken, weil sie dann nichts zu futtern haben. Und wenn es wenige Falken gibt, gibt es mehr Schneehühner. Und wenn es mehr Schneehühner gibt, gibt es mehr Falken. Und dieses Beispiel könnte man bestimmt auf uns Menschen übertragen, aber mir fällt grad nicht ein, wie.