Idylle unter Schock

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r.e.r. Avatar

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Immer wenn ich einen Annika Bengtzon Krimi gelesen habe, widme ich hinterher der Lektüre meiner Tageszeitung besondere Aufmerksamkeit. Wer steht hinter den Artikeln, Reportagen, Kommentaren und Notizen? Und wie sind sie zustande gekommen? Auf ebenso absonderliche und gefährliche Art wie bei der widerspenstigen schwedischen Serienheldin? Fakt ist jedenfalls, dass Liza Marklund es immer wieder schafft einen spannenden Plot rings um die tägliche Arbeit einer Zeitungsreporterin zu spinnen, deren chaotisches Privatleben allein schon Stoff genug für einen Roman bieten würde.

 

Die fiktive Heldin Annika Bengtzon arbeitet beim Stockholmer Abendblatt. Einer täglich erscheinenden Zeitung, die nicht den besten journalistischen Ruf genießt. Seit dem zuerst erschienenen Band der Reihe “Studio 6” im Jahr 1999 folgt die Handlung einem immer gleichen Strickmuster. Annika arbeitet an einem Artikel oder einer Serie der zunächst ganz harmlos erscheint. Im Verlauf ihrer Recherchen kommt Sie in der Regel hinter brisante Geheimnisse, die sie am Ende des Buches zielsicher in Lebensgefahr bringen, bevor sie beim finalen Showdown jedes Mal spektakulär gerettet wird. Parallel dazu werden die Entwicklungen in ihrem Privatleben beschrieben. Im ersten Band tötet sie ihren Freund in Notwehr, was eine bleibende Psychose zur Folge hat. Im Verlauf der Reihe heiratet sie, bekommt zwei Kinder, erwischt ihren Mann beim Seitensprung und verliert ihr Zuhause bei einem Brandanschlag.

 

Zu Beginn von “Kalter Süden” ist sie von ihrem Mann Thomas geschieden. Die Kinder Kalle und Ellen verbringen je eine Woche bei ihr und eine Woche bei ihrem Ex-Mann und seiner Freundin Sophia (von Annika liebevoll “die Schlampe Grenborg“ genannt). Die Beförderung zur Nachrichtenchefin beim Abendblatt hat sie ausgeschlagen und so wird der karrierehungrige Patrick ihr neuer Vorgesetzter, der sie nach Belieben herumscheucht. Sein erster Auftrag führt Annika nach Marbella, wo ein bekannter schwedischer Eishockeystar mit seiner Familie bei einem Einbruch ums Leben kam. Annika macht sich widerwillig auf die Reise. Zu unspektakulär erscheinen ihr die Ereignisse. Vor Ort ändert sich ihr Eindruck jedoch grundlegend. Die Familie ist bei einem heimtückischen Giftgasangriff regelrecht ausgerottet worden. Die Hintergründe sind mehr als undurchsichtig.

 

“Kalter Süden” knüpft inhaltlich und zeitlich direkt an den Vorgängerband an. Man kann den Krimi auch ohne Vorkenntnisse lesen, empfehlen würde ich das allerdings nicht. Im letzten Band “Lebenslänglich” ging es um dem Mord an dem Polizisten David Lindholm. Dessen private Verknüpfungen spielen in diesem Band eine entscheidende Rolle. Mir waren viele Figuren nicht mehr geläufig, sodass ich personelle Bezüge oft nur schwer rekonstruieren konnte. Das lässt einen hin und wieder ein bisschen ratlos werden, wer jetzt familiär zu wem gehört.

 

Thematischer Schwerpunkt des Romans ist die Drogenkriminalität schwedischer Staatsbürger an der Costa del Sol. Annika soll vor Ort nicht nur über die ermordete Familie berichten, sondern auch über illegale Geldwäsche, Kokainhandel und Rauschgiftschmuggel. Ihre Gespräche mit den den vor Ort ermittelnden schwedischen Polizisten waren mir zu ausführlich. Ausgezeichnet recherchiert, aber zu sachlich und detailliert wiedergegeben.

 

Ansonsten lesen sich die Krimis dieser Reihe aber ausgezeichnet. Liza Marklund, die selber Reporterin war ehe sie zur Bestsellerautorin wurde, schreibt flüssig und mitreißend. Das immer gleiche Muster stört mich beispielsweise nicht. Im Gegenteil, es hat etwas anheimelndes. Man weiß was einen erwartet. Wichtiger als ihre Fälle ist mir ohnehin die Entwicklung Annikas als Person. Liza Marklund hat mit dieser Reporterin eine Figur geschaffen, die in ihrer Eigentümlichkeit durchaus mit Lisbeth Salander von Stig Larsson vergleichbar ist. Wenn auch nicht ganz so genial und clever.

 

Wer anspruchsvolle Schwedenkrimis mag, liegt mit der Annika Bengtzon Reihe sicher richtig. Man sollte die Bücher allerdings in der Reihenfolge ihres Erscheinens lesen. Andernfalls wird man aus der Entwicklung in Annikas Privatleben irgendwann nicht mehr schlau.