Warum in die Ferne schweifen...

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hybris Avatar

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Ich hatte einen humoristischen Roman erwartet. Der Roman ist jedoch nachdenklich und ein wenig skurril.

Florian Beckerhoff beschreibt einerseits die Enge des Dorflebens, andererseits die Geborgenheit dörflicher Rituale ( ein Bier im " Adler"). Jeder kennt Jeden, Dorfklatsch geht über Anonymität.

Der  Protagonist Karl Konrad pflegt seine kranke Mutter. Vater und Bruder verschwanden nach Afrika. Als eine Postkarte des Bruders in der deutschen Provinz eintrifft, ist nicht nur der Briefträger Hubertus aufgeregt.

Auch Elke, die als einziges unverheiratetes Wesen von allen Männern in Dorf (sogar von ihrem verheirateten Chef) angehimmelt wird, kommt ins Grübeln, und bedauert, seinerzeit nicht den feschen Konrad - Jungen (Tommy) erobert zu haben.

Karl selbst ist höchst aufgeregt und schafft sich schliesslich sein ureigenes "Afrika " am Dorfrand...

Sprachlich hat mir der Roman sehr gut gefallen, da der Autor präzise formuliert. Form und Inhalt passen zusammen, und man kann zwischen den Zeilen lesen. Karl ist verschroben, aber freundlich. Keine Witzfigur. Die Tristesse seines Daseins versucht er durch Rituale und kleine Tics zu durchbrechen. Und doch ist nicht nur alles Ödnis - er mag sein ruhiges Leben, ein Einkaufsbummel in der Stadt, das Gewimmel der Leute - ist Karls Sache nicht...

Ungeschönt werden Karls Verpflichtungen dargestellt. Die Mutter ist inkontinent. Karl imponierte mir mit seinem Verantwortungsbewusstein, er ist ein stiller Held und zugleich ein Antiheld.

Der Roman war ganz anders als erwartet, aber trotzdem gut. Ich musste ein wenig an Ionescos "Rhinocéros" denken...

4/5 Sternen für dieses tolle Buch.