"Backfisch mit sozialem Anspruch", von leichter Hand

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
nahadriel Avatar

Von

Das Cover vermittelt den Eindruck eines Kindes, das gleich wieder zum Spielen zurück durch die Löw laufen wird. Das mag angesichts einer Kinderklinik paradox wirken, ist meines Erachtens aber gut getroffen, da die Lebendigkeit gesunder Kinder in den Fokus gerückt wird, zugleich wird der Eindruck von Licht und Herzenswärme vermittelt, während die Dekade der Handlung angerissen wird. Insgesamt also ein sehr gelungenes Cover mit vielen Aussagen zum Roman.

Die laut Klappentext zu erwartende Handlung (Selbstermächtigung, Emanzipation, Durchsetzen gegen Widerstände, Zusammenhalt nach Krise) ist mir eigentlich zu pathetisch. Ich muss aber gestehen, dass die Leseprobe mich positiv überraschte: Es wird keineswegs zu emotional oder gar pathetisch.
Im Gegenteil ist es angenehm frisch zu lesen, wie die Jahre vor dem ersten Weltkrieg sich angefühlt haben müssen - sowohl die Aufbruchstimmung durch wissenschaftliche Entwicklungen (hier: in der Schulmedizin) als auch durch bestehende gesellschaftliche Zwänge und Möglichkeiten. Letztere werden hier dankenswerterweise nicht seziert, sondern sind einfach ein gegebener Hintergrund.

Von der gesetzten Grundstimmung ist es insgesamt sehr licht und leicht (der Prolog wirkt nicht wie ein Versatzstück, das aus dem Romanentwurf noch übrig war, aber nicht mehr so recht zum fertigen Roman passte - einerseits hat die Autorin recht und er erklärt Charaktereigenschaften der Protagonistinnen, andererseits scheint er nicht essentiell zum Textverständnis). Wenn ich "licht und leicht" sage, meine ich, dass sich die warme und optimistische Grundstimmung des Covers durch den Text hindurch hält. Es herrscht eine gewisse Aufbruchstimmung - oder ich projiziere meine Vorfreude auf den kompletten Roman in diese Seiten.
Die Charakterbeschreibungen gelingen der Autorin mit kleinen, präzisen Strichen, z.B. bei der Beschreibung der Garderobe der neuen Zimmerschwester. Auf unnötige Emotionalität wird bei aller Herzenswärme verzichtet - wie bei der Abnahme der Brosche, wenn keineswegs über Unbill und ähnliches lamentiert, sondern einfach Überwindung beschlossen wird.

Eine Leseprobe, die mir viel Freude bereitet hat.