Die Wunden des „großen Krieges“

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caillean79 Avatar

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Im zweiten Teil der Reihe um die Schwestern Emma und Marlene Lindow sind es vor allem die Nachwehen des „großen Krieges“, des 1. Weltkrieges, die das Geschehen prägen. Während zunächst ein Teil des Buches die Geschehnisse während des Krieges beschreibt, geht es dann ausführlicher um die Zeit danach, insbesondere das Jahr 1919.

 

Beruflich ist Marlene ihrem Traum ein Stück nähergekommen. Sie studiert während des Krieges Medizin, als eine von wenigen Frauen und soll in den letzten Kriegstagen ihr Medizinalpraktikum absolvieren, bevor sie sich letztlich Ärztin nennen darf. Zu ihrer Freude kann sie dieses Praktikum an der Kinderklinik Weißensee machen, wo ihre Schwester als examinierte Krankenschwester tätig ist.

 

Marlene bekommt es mit schwierigen Krankheitsfällen zu tun, aber auch mit der großen Seuche dieser Zeit, der sogenannten Spanischen Grippe, die aus dem Kinderkrankenhaus eine Seuchenstation auch für Erwachsene macht. Dazu kommt, dass sie von einigen Kollegen als angehende Ärztin nicht ernst genommen wird. Zu gern würden sie sie aus der Klinik entfernen – oder zumindest wieder zur Krankenschwester degradieren. Und auch privat läuft es nicht rund. Ihr Verlobter Maximilian, der während des Krieges als Arzt in einem Lazarettzug tätig war, kommt völlig verändert aus dem Kriegsdienst nach Hause, was ihn und Marlene immer weiter voneinander entfernt.

 

Antonia Blum gelingt es mit dem zweiten Weißensee-Roman, ein nachvollziehbares Bild der Zeit zu zeichnen, das die bekannten „großen“ Eckdaten der Geschichte aufgreift und in den Roman einbindet. Die Figuren waren aus meiner Sicht mitunter ein wenig stereotyp gezeichnet (gut/böse, nett/durchtrieben), aber das ist in der Unterhaltungsliteratur ja sehr verbreitet. Ich würde mir mal einen Roman aus dieser Zeit wünschen, der bewusst mit diesen Stereotypen spielt und die Figuren differenzierter darstellt.

 

Trotzdem habe ich mich mit dem Buch sehr wohl gefühlt und jede Zeile genossen. Insbesondere die Beschreibungen des Klinikalltags und der oft erschöpfenden Tätigkeiten sowohl der Krankenschwestern als auch der Ärzte waren aus meiner Sicht sehr gut gelungen. Außerdem habe ich mich gefreut, auch Willy Pinke und seinem Wellensittich Jacki wiederzubegegnen – Willy ist ein richtiges Berliner Original mit der berühmt-berüchtigten „Berliner Schnauze“ und ein absoluter Sympathieträger – ihn habe ich besonders ins Herz geschlossen.

 

Die Aufarbeitung der Kriegserlebnisse von Maximilian ging mir am Ende ein wenig zu schnell und zu geräuschlos über die Bühne. Hier hätte es aus meiner Sicht noch Potential gegeben, um – stellvertretend für die vielen Kriegsschicksale – darzustellen, dass „das Leben danach“ für die allermeisten nie wieder das Gleiche war.

 

Mein Gesamturteil:

Wie schon Teil 1 ein wunderbarer historischer Schmöker, der diesmal die Geschehnisse rund um das Ende des 1. Weltkrieges thematisiert und einordnet. Die Beschreibungen des Klinikalltags in dieser Zeit sind gleichzeitig nachvollziehbar und spannend. Man sollte sich aber bewusst sein, dass es hier um Unterhaltung geht und die Figuren und Handlungsabläufe entsprechend angelegt sind.