Fotos und Erinnerungen

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
mammutkeks Avatar

Von

"Fotos sind nicht die Erinnerungen selbst, spannen aber Erinnerungen auf wie Zeltstücke, über denen der Stoff des Gewesenen hängt." So lautet eine der möglichen Bezüge zwischen Fotos und Erinnerungen, die in den jeweiligen Einleitungen der einzelnen Kapitel das auslösende Foto vorstellen - und daneben eben auch darüber philosophieren, welche Rolle Fotos denn spielen.
Eine andere Möglichkeit beruft sich auf Roland Barthes, der die Fotografie weniger als Kunst verstehen möchte, denn als Magie. Denn "das Foto ist keine Kopie der vergangenen Wirklichkeit, sondern eine Hervorbringung dessen, was wirklich passiert ist, eine Erinnerungsquelle, die, lange vergessen, beim Anblick des Fotos zu sprudeln beginnt."
Sprudelnd sind dann auch die autobiografisch gefärbten Erinnerungen, die Klaus Modick in "Klack" entwickelt. Ein kleines Foto, vielfach verwackelt, ohne das gewollte Motiv unbedingt zu treffen, bewirkt, dass sich weitgehende Geschichten erinnern lassen.
Markus, etwa 15jährig, gewinnt auf dem Ostermarkt beim Losen einen Hauptgewinn, kann frei auswählen - und nimmt dann die Agfa Clack, eine beliebte Kamera in den 1960er Jahren, mit der er erste Bilder macht, die dann aber jahrelang in einem Karton liegen. Nun aber sind sie wiedergefunden - und dienen als Erinnerungsquelle, z.B. an die Ankunft der neuen Nachbarn. Eine italienische Familie - mitsamt gleichaltriger Tochter - zieht in den "Schandfleck" der Straße, ein heruntergekommenes Haus, das nach einem Granatentreffer in den letzten Kriegstagen nicht wieder aufgebaut wurde.
Markus erinnert sich an seine erste Verliebtheit, aber auch an den immanenten Rassismus, der nicht nur seiner Familie, sondern auch den Freunden innewohnt. Erinnerungen gibt es auch an die Kriegserzählungen seines Vaters, die immer nur bis zu einem gewissen Punkt gelangen - weil dieser die Erlebnisse noch nicht verarbeitet hat.
In dem - viel zu kurzen - Buch entwickelt Modick ein Kaleidoskop der 1960er - mit Mauerbau in Berlin, mit dem Raumflug von Jurij Gagarin, mit Kubakrise, Atomwaffenangst und dem immer noch vorhandenen nationalsozialistischen Gedankengut - und natürlich mit dem Wirtschaftswunder, das auch in der (ungenannten) norddeutschen Kleinstadt Einzug gehalten hat. Dass es sich um Oldenburg handelt, ist für mich als (zwar deutlich jüngeren) Oldenburgerin nicht nur durch den Geburtsort von Klaus Modick klar, sondern wird z.B. auch durch die Beschreibung der neugebauten evangelischen Kirche klar, deren "Schiff wie eine Garage und deren Turm wie ein Getreidesilo aussah". Diese Kirche feiert in diesem Jahr ihr 50jähriges Bestehen - und wird von den Verantwortlichen als "Bauhausstil" klassifiziert. Mir gefällt die Beschreibung Modicks doch deutlich besser.
Neben all den weltgeschichtlich relevanten Erinnerungen steht das sexuelle Erwachen von Markus im Mittelpunkt. Verliebt in Clarissa, die italienische Nachbarin, muss er auch erste Enttäuschungen erleben.
Alles ist leicht, interessant und vor allem sehr gut beschrieben. Wunderbare Erinnerungen, die zum Griff ins eigene Fotoalbum animieren, um dann ebenfalls über die eigene Vergangenheit nachzudenken. Ein wirklich gelungenes Buch - das mir allerdings deutlich zu kurz geraten ist.