Bavaria und das Verlassenwerden

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bavaria123 Avatar

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Ich gebe es zu, die Autorin war mir bis zu dem Öffnen der Leseprobe vollkommen unbekannt. Gut, ich lese nicht die Brigitte, wo ihr erstes Buch sehr gelobt worden ist, aber ich bin regelmäßig in Buchhandlungen und Büchereien und da hätte mir das Buch „Suna“ eigentlich mal auffallen müssen. Gut, das hat es nicht.

Der Einstieg in die Geschichte fiel mir dann etwas schwer. Die Autorin bedient sich einem eher gewöhnungsbedürftigen Stil. Es ist ein ständiger Wechsel zwischen den betreffenden Personen und auch zwischen den Zeiten. Mal begleitet der Leser Ira, mal Lew und über Fido wird nur erzählt. Mal ist man im Jahr 1976 und mal um die 30 Jahre später. Mal befindet man sich in Berlin, mal in Süddeutschland und mal auch in Indien. Das war anfangs wirklich einigermaßen schwierig und ich musste immer mal wieder zurück blättern, um alles zu verstehen. Zudem gerät die Geschichte ein wenig sperrig, da sie in sehr viele kleine und abgegliederte Absätze aufgeteilt ist. Nun gut, aber etwas hat mich dann doch in den Bann gezogen und ich musste einfach weiter lesen.

Das Buch ist mit seinen 288 Seiten nicht gerade dick, aber von dem Erzählten her doch sehr umfangreich.
Zunächst einmal lernt der Leser einige Personen kennen. Da ist Ira. Eine junge Mutter, die in einer Bäckerei arbeitet. Sie macht einen außerordentlich sympathischen Eindruck, hat aber eine nicht gerade einfache Kindheit hinter sich. Ihrer Mutter war sie unerwünscht und musste Misshandlungen aushalten. Iras Mutter ist dann auch aus ihrem Leben verschwunden. Ihr Vater, der nun im Sterben liegt, hat sie fast zu viel geliebt und deshalb eher Abstand von ihr genommen
Fido kam als vierjähriger Junge mit seinem Großvater nach Deutschland. Auch dieser junge Mensch wurde von seiner Mutter verlassen, weil diese sich ein neues Leben ohne serbische Verwandtschaft aufbauen wollte.
Begonnen wird aber mit Lew, der in Indien seinen Vater sucht. 1976 wurden er und sein Bruder Manuel von den republikflüchtigen Eltern verlassen und kamen dann zu Adoptiveltern.
Das Thema Verlassen werden hat also erst einmal eine immense Wichtigkeit in diesem Buch. Und es sind vor allem die Mütter, die verlassen. Und es gibt eine Frau, die allen, denen die Wurzeln fehlen, doch ein wenig Wärme gibt, nicht nur weil sie in einer Bäckerei lebt und arbeitet, sondern weil sie ein sehr großes Herz hat.

Aufgrund dieser Thematik stellt sich dann die Frage, wie die Menschen so werden, wie sie dann sind. Welche Erfahrungen und Erinnerungen sind prägend? Gibt es gar ein Weitergeben von Ängsten und anderen Gefühlen auf die nächste Generation? Auf manche Fragen gibt das Buch keine Antwort und zum Ende hin verlaufen auch einige Erzählstränge ins Nichts oder verstricken sich ein wenig in Ungereimtheiten.

Und doch lässt mich das vielschichtige Buch sehr berührt zurück. Sicher ist es nicht einfach einen Strauß zu binden aus Familie, Freundschaft, Liebe, Tod, Heimat und diesen in eine Zeitreisenvase durch die Geschichte und Politik der anfänglichen noch getrennten zwei Staaten DDR und BRD zu stecken. Aber dieses Gebinde ist dann doch zu zum überwiegenden Teil harmonisch geglückt.

Das Buch ist ausgesprochen gefühlvoll geschrieben. Die Sprache der Autorin ist sehr intensiv und von einer absolut ausgewählten Schönheit. Dadurch wirkt manches sehr fragil, anderes aber auch arg eindringlich.

Ja, und auch zu diesem Cover muss ich dann doch auch noch etwas bemerken. Anfänglich fragte ich mich, was dieses Haarstück mit der Geschichte zu tun haben sollte. Aber dann kamen mir zum einen abgeschnittene Zöpfe in den Kopf und dann eben, dass auch Reststücke von geflochtenem und miteinander verwobenen eine Zeit zusammen halten können. Wenn auch nicht für immer.

Aufgrund der angesprochenen Punkte vergebe ich gern 4 Sterne und werden demnächst mal nach dem Buch „Suna“ Ausschau halten.