Wunderschön, aber zu kurz

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sorko Avatar

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Die Geschichte von Ira und Lew. Die Schicksale von zwei Menschen aus zwei voneinander getrennten Teilen Deutschlands, die nach dem Mauerfall zufällig zusammentreffen, sich lieben, sich trennen und am Schluss wieder zusammenfinden. Beide haben Verluste erlitten, beide haben noch etwas zu erledigen, etwas zu verarbeiten. Verlust, Verdrängung, Verarbeitung – und dazwischen immer wieder kleine Glücksmomente. Lebenswege. Der Stoff für eine große Geschichte, weil es unsere Geschichte ist. Nicht nur die von Ira und Lew, viele von uns haben ähnliches erlebt, wenn auch vielleicht etwas anders ausgeprägt. Darum ist es interessant.

Zunächst einmal: eine wundervolle Sprache! Das hat mich berührt, deshalb habe ich diese Geschichte sehr gern gelesen. Eine große Geschichte hätte es meiner Ansicht nach werden können, doch dafür ist sie einfach zu kurz. Viele Fragen bleiben offen, man hätte gern mehr erfahren. Zum Beispiel über den Weg von Fido, hat er seine Mutter getroffen, wie war das? Auch über die Eltern von Lew wird nicht sehr viel gesagt, offenbar hatten sie ja vor, ihre Kinder bei ihrer Flucht mitzunehmen. Haben sie versucht, nach ihrer Abschiebung Kontakt herzustellen, warum taten sie es nicht? Viele Andeutungen werden gemacht, aber der Leser muss sich dann selbst seinen Reim darauf machen. So wie bei den pädophilen Interessen von Cornelius und Gerster, Cornelius wollte ja wohl Ira vor Gerster schützen, der es vermutlich auf das Mädchen abgesehen hatte. Steckte möglicherweise ein ganzes Netzwerk dahinter, gab es andere Fälle? Offenbar hatten Lew und Ira eine Beziehung, wie lief das? Am Schluss kehrt Lew ja zu Ira zurück, was ist mit seinem Vater? Hat der ihm offenbart, wie es für ihn und seine Frau war? Hinweise und Andeutungen sind reichlich vorhanden, vielleicht will die Autorin dem Leser ja viel Spielraum für eigene Interpretationen geben, aber ich hätte mir schon etwas mehr Erklärungen gewünscht. Gestrichen werden muss meiner Ansicht nach nichts, es hätte mehr geschrieben werden müssen. Es gibt viele dicke Bücher, bei denen man gut die Hälfte weglassen könnte, aber hier hätte ich gern mehr Seiten gehabt. Trotzdem, und vor allem wegen der wunderbaren Sprache, es lohnt sich zu lesen.