Zwischen Begeisterung und Zähneknirschen

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waschbaerprinzessin Avatar

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In den Augen der griechisch-georgischen Familie der angehenden Ärztin Olga ist das Wichtigste für eine junge Frau, dass sich ein geeigneter Ehemann für sie findet. Bereits als sie im Teenageralter ist, werden potenzielle Heiratskandidaten zum Tee eingeladen. So vehement sich die selbstbewusste Protagonistin in Angelika Jodls Roman “Laudatio auf eine kaukasische Kuh” gegen diese Verkupplungsversuche wehrt, so sehr sehnt sie sich aber auch nach Sicherheit, einem “normalen deutschen” Leben und vor allem einem Nachnamen mit möglichst wenig Silben. All das stellt ihr ihr Quasi-Verlobter Felix van Saan, ebenfalls Mediziner, in Aussicht. Doch dann taucht Abschlussarbeiten-Ghostwriter Jack auf und bringt alles durcheinander. Und um ehrlich zu sein: das nervt.

Jodl erzählt abwechselnd aus Olgas und aus Jacks Perspektive. Olga ist mit ihren griechisch-georgischen Wurzeln, die sie so gerne hinter sich lassen möchte, die ihr aber immer wieder Stolpersteine in den Alltag als Medizinstudentin legen, eine unglaublich interessante Protagonistin. Ihre zynischen Beobachtungen über ihre Mitstudierenden, die schlagfertige Art, mit der sie ihre Meinung äußert und mit der sie für andere einsteht, machen Spaß zu lesen. Man kann sich gut in sie hineinversetzen, fühlt mit, wenn sie Kämpfe mit ihrer Mutter austragen muss, und kann ihre Wut und Frustration mit den Erwartungen ihrer Familie gut nachvollziehen. Mit ihr gemeinsam Georgien kennenzulernen und mehr über eine Kultur zu erfahren, von der ich bisher so gut wie nichts wusste, wird dadurch noch interessanter, dass sie selbst von oben herab auf dieses Land blickt, aus dem ihre Eltern stammen und dessen Bräuche und Traditionen sie für rückständig hält, und nun mit ihren Vorurteilen konfrontiert wird. Die spontane Familienreise nach Tiflis hält so viele spannende Einblicke parat und Olgas Entwicklung, während sie ihre Verwandten kennenlernt und in deren Lebenswelt eintaucht, ist derart interessant, dass ich das große Liebesdrama drum herum nicht gebraucht hätte.

Wahrscheinlich auch vor allem deshalb, weil ich eine Abneigung gegen Liebe-auf-den-ersten-Blick-Geschichten voller unwahrscheinlicher Zufälle habe und den zweiten Protagonisten Jack nicht ausstehen kann. Auf der einen Seite soll er eine Art Außenseiter darstellen, ein Tagelöhner ohne Abschluss, der so vor sich hinlebt, auf der anderen Seite ist er ein absoluter Alleskönner, der in Windeseile Sprachen lernt, unglaublich gut zeichnet, in jedem Fach durch ein bisschen Recherche in der Bibliothek mal schnell eine Abschlussarbeit mit Einsergarantie verfassen kann, aller Welt aufgeschlossen begegnet, mit allen direkt klarkommt und sich mit ihnen auch ohne gemeinsame Sprache einwandfrei verständigen kann. Wie abwertend er über Germanistikabschlussarbeiten als lieblos hingeklatschte Aneinanderreihungen von Anfang, Hauptteil und Schluss zu den immergleichen Themen spricht, macht ihn mir als Germanistin, die viel Herzblut in ihre Abschlussarbeit gesteckt hat, natürlich nicht gerade sympathischer. Und ganz ehrlich, wer einer Frau, die er einmal gesehen hat, immer wieder am Bahnhof auflauert, sie bis nach Hause verfolgt und ihre Familienmitglieder ausfindig macht, um sich mit ihnen anzufreunden, ist kein romantischer Eroberer, sondern ein gestörter Stalker.

Angelika Jodl vermischt in “Laudatio auf eine kaukasische Kuh” die Geschichte einer unglaublich spannenden Protagonistin, die die kulturellen Wurzeln ihrer Familie kennenlernt, während sie nach ihrem eigenen Platz im Leben sucht, mit einer für meinen Geschmack zu konstruierten und übertriebenen Liebesgeschichte zwischen ihr und einem für mich unerträglichen zweiten Protagonisten. Ich habe Teile dieses Romans mit großem Interesse verschlungen und Teile zähneknirschend ertragen.