Alex Capus "Léon und Louise"

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marionhh Avatar

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Der Roman beginnt mit der Beerdigung von Léon Le Gall, bei welcher eine alte Dame auftaucht, den Toten küsst und wieder verschwindet. Die Familie ahnt, wer sie sein könnte, es gibt aber keine Vorstellung, und die Dame war auch nicht eingeladen. Wer ist sie? Im Folgenden erzählt der Enkel von Léon die Geschichte der ersten und größten Liebe seines Großvaters, und es entwickelt sich eine wunderbare Liebes- und Dreiecksgeschichte.

Léon und Louise lernen sich kurz vor Ende des 1. WK kennen und verlieben sich. Nach einem Bombenangriff halten sie einander für tot, und jeder geht seiner eigenen Wege. Léon heiratet, wird Vater und lebt und arbeitet in Paris, bis er dort in der Metro Louise wieder trifft. Er setzt alles daran sie zu finden, sogar mit dem Einverständnis seiner Frau Yvonne, die genau weiß, dass ihm dies sowieso keine Ruhe gelassen hätte. Durch den 2. WK werden die beiden erneut getrennt, Louise geht nach Afrika, Léon harrt zunächst in Paris aus, geht aber später auf Anraten eines Freundes nach Lacanau am Atlantik, um dort das Kriegsende abzuwarten. Nach Kriegsende kehren beide nach Paris zurück, treffen sich wieder und beginnen mit Yvonnes Wissen eine Liebesaffäre. Yvonne erkrankt schließlich schwer und stirbt bald darauf. Nun ist der Weg frei für ein gemeinsames Leben.....

Da die Geschichte aus der Sicht Léons erzählt wird, erfährt man naturgemäß mehr über sein Leben und seine Gefühle, man ahnt jedoch einiges über Louises Gefühlswelt aus seinen Beschreibungen und ihren Briefen. Sie ist zweifellos die interessantere und vielschichtigere Persönlichkeit, eine starke, emanzipierte Frau in einer unruhigen Zeit, eine Überlebenskünstlerin. In einer Zeit, in der Frauen hauptsächlich Kinder und Haushalt zur Aufgabe haben, widersetzt sie sich den Konventionen, lebt allein, ernährt sich selbst und nimmt sich die Männer, die sie will. Auf den ersten Blick etwas burschikos, ist sie doch voller Gefühle, die sie besonders in ihren Briefen sehr lebendig ausdrückt. Während Léon ein starker Gewohntheitsmensch ist und immer einen kleinen Anstoß benötigt (von seinen Eltern, von seiner Frau, sogar von seinem persönlichen Clochard"), wird sie aktiv. Den ganzen Roman über ist sie - auch bei Abwesenheit - stets in Léons Leben und damit auch beim Leser präsent.

Léon ist ein eher passiver Charakter, bequem, zurückhaltend und ein wenig obrigkeitshörig. Er muckt nicht auf, selbst als die Nazis ihn drangsalieren, entwickelt jedoch seine eigene Form des Widerstands. Dennoch ist auch Léon ein Sympathieträger: Er steht zu seiner Frau und seinen Kindern und würde sie nie verlassen. Gegen seine große Liebe zu Louise kommt er jedoch nicht an.

Auch Yvonne ist eine starke Frau und nimmt eine sehr starke Nebenrolle" im Roman ein. Sie kümmert sich mehr oder weniger allein um Haushalt und Kinder, und während des Krieges ist sie diejenige, die alles zusammenhält und die Familie durchbringt. Léon verdient zwar das Geld, hat aber ansonsten nicht die großen Entscheidungen zu treffen. Sie opfert sich auf für die Familie und stellt ihre Wünsche hinten an. Nach dem Krieg, als der Hunger und das Leiden ein Ende haben, dreht sie sich um 180 Grad und kümmert sich nur noch um sich selbst. Ihre Krankheit nimmt sie geradezu fatalistisch hin, ebenso wie sie die Liebe Léons und Louise hinnimmt, weil sie sie sowieso nicht ändern kann. Sie ist Realistin und pragmatisch. Obwohl sie betrogen wird, harrt sie an der Seite des Mannes aus, den sie liebt. In ihr vereinen sich, wie Léon richtig bemerkt, mehrere Persönlichkeiten: Diva, Ehefrau, Wächterin über die Familie und am Ende ein Essen-in-sich-reinstopfender Moloch.

Fazit: Ein wunderbarer literarischer Roman über eine große Liebe, die Kriege, Trennungen und sogar den Tod überdauert! Und dabei ist es nicht nur eine wunderbare Liebesgeschichte, sondern auch eine Geschichte über Menschen, die in schwierigen Zeiten leben und sich trotzdem durchkämpfen, die versuchen, sich ihr Glück und ihre Lebensfreude zu bewahren. Dabei wird es niemals kitschig und langweilig, sondern liest sich flüssig und angenehm leicht. Die Sprache ist jedoch durchaus anspruchsvoll, aber immer bildhaft und der Situation angemessen und teilweise auch sehr humorvoll. Einziger kleiner Wehrmutstropfen: Trotz des Happy Ends" hätte ich gerne gewusst, was nach dem Tod von Leons Frau geschieht, denn offensichtlich haben die beiden ihre Beziehung später auch nicht offiziell gemacht, sonst wäre die Familie bei der Beerdigung nicht so brüskiert gewesen. Auf jeden Fall gab es ein großes Bedauern, dass der Roman schon zu Ende ist. Ein wahres Lesevergnügen!