Alte Fahrradklingel mit Haarrissen in der Chromschicht

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owenmeany Avatar

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Diese Konstellation hätte man mühelos zu einer Herz-Schmerz-Schnulze verwursten können: junger Mann und junge Frau treffen während des ersten Weltkriegs aufeinander und verlieren sich wieder, kaum dass sie ein Paar wurden. Nach dem Krieg erfolgt dann die völlig überraschende Begegnung in der Pariser Metro, die ein kurzes Glück mit sich bringt, bis nach fast dreißig Jahren und dem Ende des zweiten Weltkriegs die Beziehung noch eine neue Chance bekommt. Auch der Roman "Zwei an einem Tag" von David Nicholls spielt auf ganz andere Weise mit diesem Motiv Finden und Verlieren eines geliebten Menschen.

Dass aus diesem Plot ein derart erleuchtender Roman entstand, ist in meinen Augen in erster Linie der einzigartigen Louise zu verdanken, die auf mich durch und durch französisch wirkt und in ihren jungen Jahren Assoziationen zu Amélie heraufbeschwört. Zum Niederknien finde ich schon in Kapitel vier ihre Herzenswärme, die sie zu der bitteren Aufgabe befähigt, Angehörigen die Nachricht vom Tod eines jungen Soldaten zu überbringen, gepaart mit einer selbstbewussten Schnodderigkeit, wenn es gilt, ihre Intimsphäre zu schützen.

Für alle handelnden Personen findet Capus genau den richtigen Tonfall individueller Wertschätzung, der sie begreiflich macht, ihnen aber nicht zu nahe tritt. Allein die Episode, wie Leon insgeheim im Amt der deutschen Besatzungsmacht widersteht, ist ein Kabinettstück historischer Geschichtsschreibung, die man allen Frankreichverächtern gerne hinter den Spiegel klemmen möchte. Und wie Louise das Exil in Afrika mit entschlossenem Pragmatismus aushält, lässt Feministinnen jeglicher Couleur ehrfürchtig verstummen.

Die Vorstellungskraft in der Gestaltung glaubwürdiger Situationen, das psychologische Feingefühl für Personen geschrieben in einem an der zwischenmenschlichen Kommunikation angelehnten Stil haben Capus ein kleines Meisterwerk erschaffen lassen, das ich jedem Literaturfreund innigst ans Herz legen möchte.