Léon und Luise und Yvonne

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Léon wird in die Geschichte eingeführt als er in Notre Dame aufgebahrt im Kreise seiner Familie auf den Pastor wartet und von Louise verabschiedet wird. Sie legt ihm eine Fahrradklingel in den Sarg. So schließt sich ihr ganz eigener Kreis. Als sie sich 1917 kennenlernten, hat sie ihn auf ihrem alten, quietschenden Herrenfahrrad auf der Landstraße überholt. So begann ihre Geschichte. Ihre Geschichte, die ihr Enkel den Lesern erzählt. Auch wenn man dies immer wieder vergisst und nur daran erinnert wird, wenn er von "meinem Großvater" spricht. Ansonsten liest sich Alex Capus Buch phasenweise eher wie ein Bericht, der durch die wenigen Dialoge aufgelockert wird. Denn Louise ist eine schlagfertige Person. Dies war sie schon mit 17 und bleibt dies bis zu ihrem selbstbewussten Auftritt in Notre Dame.

Léons und Louise erste Begegnung und gemeinsame Zeit währt nicht allzu lange. Nach einem romantischen Wochenende an der Küste geraten sie unter Beschuss. Louise wurde schwer verletzt von einem Einheimischen gerettet, Léon, der sich hinter ihr, aber außer Sichtweite befand, wurde von kanadischen Sanitätern in ein Krankenhaus gebracht. Als Léon versucht, Informationen über Louises Schicksal zu erhalten, wird ihm vom Bürgermeister, ihrem Arbeitgeber, mitgeteilt, dass sie nicht überlebt habe. Als dann noch seine Arbeitsstelle bei der Bahn nach seiner wochenlangen Abwesenheit neu besetzt ist, geht er nach Paris. Jahre später ist er mit Yvonne verheiratet und hat einen Sohn, das zweite Kind ist unterwegs, als er plötzlich in der Métro glaubt, Louise gesehen zu haben. Er erzählt Yvonne von der Begegnung und seinem Versuch, Gewissheit zu bekommen, dass es wirklich Louise ist, die er gesehen hat, indem er zwei Stunden mit der Métro zwischen drei Stationen hin- und hergependelt ist. Sie bestärkt ihn darin, Louise zu finden, schon allein um ihren und seinen Seelenfrieden zu erhalten.Und tatsächlich, als er an den Ort ihres gemeinsamen Wochenendes zurückfährt, dort eine Nachricht hinterlässt, kommt Louise zu dem vereinbarten Treffpunkt. Sie verbringen gemeinsame Stunden miteinander und verabschieden sich - für die nächsten zwölf Jahre. Hier kommt spätestens das Faible des Autors für Zahlen ins Spiel. Er zählt mit Hingabe Jahre, Monate, Tage, Stunden. Dies wird er wohl unterstützend für die Charakterisierung Léons getan haben, der zwar ungemein sympathisch, rechtschaffen, loyal und pflichtbewusst aber auch recht leidenschaftslos ist. Ganz im Gegensatz zu Louise, die die Tage nimmt, wie sie kommen, sich nicht um Konventionen schert. Ellenlange (teilweise über neun (!) Zeilen) Sätze, die, wenn man nicht konzentriert genug ist, leicht zum Abschweifen verführen, werden im Anschluss durch Louises doch streckenweise recht ordinäre Art, ihre weltlichen Ansichten auf den Punkt zu bringen, wieder aufgelockert.

Alles in allem überstehen Léon und Louise ihre Jugendliebe aus dem Ende des zweiten Weltkrieges auch den zweiten trotz widriger Umstände und tausender Kilometer Entfernung. Auch wenn sie sich innerhalb von einem viertel Jahrhundert eigentlich nur einmal für wenige Stunden ihre Zweisamkeit genießen können, ansonsten Louise während des zweiten Weltkrieges an Léon schreibt, können sie ihr Beziehung erst leben, als sie nach dem Krieg aus Afrika zurückkehrt. Sein zwischenzeitlich erworbenes Hausboot, das ihm eine Weile als seine persönliche Oase diente, wird schließlich ihr Liebesnest. Léon lebt ein zufriedenes Leben: mit Yvonne, die ihm in guten wie in schlechten Zeiten ein zuverlässiger Kamerad war und ihm fünf Kinder geboren hat; mit Louise, der sein Herz gehörte, seit er sie zum ersten Mal als 17jähriger sah und deren Liebe zueinander Jahrzehnte überdauerte, ohne dass sie sie leben konnten. Als Yvonne stirbt, steht dem nichts mehr im Wege.

Fazit: Alex Capus hat eine ganz andere Liebesgeschichte erzählt, die nicht in den üblichen Klischees entspricht. Sie ist nicht gespickt mit Kitsch und leidenschaftlichen Schwüren oder unnötigen Missverständnissen, die dann doch das "Unvermeidliche" nur verzögern. Die stellenweise berichtende Erzählweise spiegelt Léons Person, seine Beziehung zu und mit Louise und auch Yvonne. Bei aller Romantik, dass wahrer Liebe nicht einmal ein Krieg und viele Jahre nichts anhaben können, ist Louise weder eine romantische Person noch ist es ihre Beziehung. Der Beweis, dass auch ohne sie eine mitfühlende Geschichte über die Liebe erzählt werden kann.