Eine Chance auf Distanz oder Nähe

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rauschleserin54 Avatar

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„Wieder draußen im Flur, hörte er sie in ihrem Zimmer reden. Sie besprachen bereits etwas, mit klaren Stimmen, erst der eine, dann der andere, mit Pausen dazwischen, die ernsten Stimmen kleiner Jungen am Morgen, wenn keine Erwachsenen dabei sind. Er ging hinunter.“


Ike und Bobby Guthrie sind die Jungen, 9 und 10 Jahre alt. Sie sind ziemlich selbstständig und werden vom Vater Tom versorgt. Die Mutter Ella hat sich in sich selbst zurückgezogen und liegt in einem abgedunkelten Raum des Hauses. Das Leben im kleinen Ort Holt in Colorado ist hart und auf das Wesentliche reduziert und trotzdem gibt es die Lehrerin Maggie, die sich um die 17jährige Victoria kümmert, weil sie unverhofft schwanger von einem Sommerschwarm wurde und die Mutter ihre jede Hilfe verwehrt und sie rauswirft. Es gibt die Viehzüchter Raymund und Harold Mc Pheron, die alt und rauhbeinig sind, aber Victoria zu sich nehmen. Es gibt Menschen, die nicht viele Worte verlieren und trotzdem über ihren Schatten springen.....


Kent Haruf ist ein brillanter Erzähler, einer der in uns Bilder erzeugt, die wir niemals mehr vergessen. Aber nicht aufdringlich, nicht dicht gedrängt. Er erzählt kraftvoll und ruhig das Leben wie es ist in einem kleinen Ort, wo einer auf den anderen angewiesen ist, aber alle auch ihre Freiheit brauchen. Hier scheint die Zeit irgendwie still zu stehen. Die Natur hat ihre eigenen Gesetze gemacht und die Menschen hier sind nicht zimperlich. Hinter harter Schale findet sich manch gutes Herz, aber nicht sofort auf der Zunge.


Haruf beschreibt seine Protagonisten mit einer behutsamen Distanz und gibt uns somit die Chance auf Abstand oder Nähe zu diesen Menschen. Er gibt damit auch Platz für die Reflexion eigener Erfahrungen und dem Unausgesprochenen zwischen den Zeilen.

Seine Figuren scheinen Stellvertreter für die Menschen aller Orte des Landes im Kleinen.

Er ist ein Maler der Stimmungen, die den Leser das Buch kaum aus der Hand legen lassen. Weil wir hier ganz großes Kino erleben und nicht mehr fort wollen, obwohl das Geschriebene nichts anderes ist als das wahre einfache Leben in einer ungezähmten Natur.


„Der Abend war noch nicht kalt, als das Mädchen aus dem Cafe kam. Aber die Luft wurde schon scharf, eine herbstliche Ahnung bevorstehender Einsamkeit. Etwas Seltsames lag in der Luft.“


Dieses Buch ist eine Kostbarkeit und Kent Haruf ein wundervoller Betrachter und Erzähler, aber kein Beschöniger der Umstände. Es ist so wie es ist und für mich ist es nach dem Lesen der letzten Zeile gut so. Ich werde es nochmal lesen und dann nochmal und ich werde immer wieder etwas finden, dass mich überrascht und mich erstaunt und das ich betrachtenswert finde. Hierfür kann ich nur 5 Sterne vergeben, verdient hätte er mehr. Danke dafür!