Einsamkeit in den Great Plains

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dajobama Avatar

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Hoch oben auf dem Querholz eines Telegraphenmasts saß ein Habicht, kupferfarben in der sinkenden Sonne, sie sahen ihn an, aber er drehte nicht einmal den Kopf, als sie unter ihm vorbeifuhren. S. 90

Einsamkeit ist das große Thema dieses Romans von Kent Haruf (1943 – 2014). Einsamkeit in allen Facetten. Einsamkeit in der fiktiven Kleinstadt Holt im US-Bundesstaat Colorado.

Die siebzehnjährige Victoria Roubideaux ist schwanger, den Vater des Kindes kennt sie kaum. Trotzdem will sie das Kind behalten, obwohl ihre Mutter sie erbarmungslos auf die Straße setzt. Kurzfristig kommt sie bei ihrer Lehrerin Maggie Jones unter, die ihren alten Vater pflegt. Schließlich überredet Maggie zwei raubeinige, alte Viehzüchter, die McPheron-Brüder, Victoria auf ihrer Farm aufzunehmen. Erst widerwillig, dann mit wachsender Begeisterung nehmen sich die beiden der Schwangeren an. Dann ist da noch Tom Guthrie, ebenfalls Lehrer, der sich alleine um seine beiden Söhne kümmert, nachdem sie von der Mutter verlassen wurden.

Während Tom Guthrie einen seltsam distanzierten Eindruck hinterlässt, sind die beiden McPherons einfach nur toll. Rührend kümmern sie sich um Victoria, obwohl sie sich mit Kühen und Kälbern besser auskennen, als mit jungen Frauen und Babys, wie sie selbst zugeben. Doch allein der gute Wille und die großen Herzen zählen und schließlich ist dies für die beiden alten Männer eine Chance, eine jahrzehntelang geteilte Einsamkeit zu beenden.

Herrlich unaufgeregt und mehr zwischen den Zeilen als direkt, erzählt Kent Haruf stimmungsvoll von diesen sieben Personen und wie sie alle versuchen, der Einsamkeit zu entkommen. Die Sprache ist einfach und doch aussagekräftig. Die Weite des Landes, die bereits im Titel und auf dem Cover angedeutet wird, sowie das Leben in einer typischen kleinbürgerlichen Kleinstadt kann man sich sehr gut vorstellen. Ein tiefgründiger Roman, mit einem besonderen Schreibstil, der süchtig macht. Die relativ kurzen Kapitel tragen als Überschrift den Namen der Person, um die es in den nachfolgenden Seiten hauptsächlich geht. Das ist vor allem deshalb angenehm, da die direkte Rede nicht gekennzeichnet ist. Daran gewöhnt man sich aber rasch.

Als Botschaft des Roman bleibt zurück, dass man Einsamkeit durchbrechen kann und dass man die Hoffnung niemals aufgeben sollte. Familie bzw. familiäre Gefühle kann man auch außerhalb von verwandtschaftlichen Beziehungen finden. Und ja, es bleiben am Ende sehr viele Fragen offen, aber das entspricht dem Erzählstil des Autors und für mich hat das auch wieder einen besonderen Reiz. Man erfährt nur die Tatsachen, von außen betrachtet. Die verschiedenen Gefühlswelten und Beweggründe, auch die Möglichkeiten, wie es weitergehen könnte, dazu soll man sich seine eigenen Gedanken machen. Mich hat das Buch sehr berührt. Es ist ein ganz besonderer Roman mit großen Botschaften.

Lied der Weite ist wohl der Auftakt einer Trilogie, wobei die beiden Folgebände noch nicht auf Deutsch erschienen sind. Vielleicht nimmt der Diogenes Verlag dies noch in Angriff. Ich würde mich freuen. Dieser Roman, wie auch „Unsere Seelen bei Nacht“ wurden bereits mit hochkarätigen Schauspielern verfilmt.

Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung!