Von der Gemeinschaft

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alasca Avatar

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Plainsong heißt der Originaltitel des Romans. Und tatsächlich spielt er, wie alle Romane von Kent Haruf, in Holt, einem kleinen Ort in den Great Plains. Aber nicht nur auf die endlos rollende Ebene spielt der Titel an, sondern auch auf das einfache – plain – Leben dort. Schlussendlich ist plainsong das englische Wort für Choral, kirchliche Musik mit einfacher Melodie, die von vielen Stimmen gesungen werden kann und erst durch die Vielfalt der Tonlagen Tiefe erlangt.

So ist auch der Roman aufgebaut: Es geht um eine Reihe von Charakteren in Holt, die wenig mehr gemeinsam haben als dysfunktionale Familien und die Unfähigkeit, über ihren Schmerz zu sprechen. Jeder Charakter trägt eine Stimme zu dem Choral der Gemeinde bei. Eine der Personen ist der schwangere Teenager Victoria, die aus ihrem Elternhaus flüchtet und sich an ihre Lehrerin Maggie Jones wendet, die von ihrem Mann verlassen worden ist. Maggie hilft ihr dabei, die Verantwortung für ihr Leben als Alleinerziehende zu übernehmen. Die sympathischsten Figuren waren für mich ein Brüderpaar, das schon immer gemeinsam auf der Farm der mittlerweile verstorbenen Eltern lebt, nie verheiratet war und bei aller Verschrobenheit so durch und durch anständig und freundlich ist, dass bei mir schon Kitschverdacht aufkam.

Aber obwohl der Roman leise optimistisch daherkommt, macht Haruf nicht den Fehler, das Stückwerk der Ortsgemeinschaft zu einem vollständigen Ganzen zu formen oder zu idealisieren. Er beschreibt den von den Jahreszeiten bestimmten Alltag der Prärieleute, ihre täglichen Pflichten und die unaufgeregte Art der Menschen, mit den Dramen des Lebens umzugehen. Die Charaktere sind in der Mehrzahl nicht sehr dreidimensional, was man als kleines Manko auffassen kann. Aber in den Dialogen kommt ein leiser, trockener Humor zum Tragen, der mich oft zum Schmunzeln gebracht hat. Es geht letztlich um die alte Weisheit, dass kein Mensch eine Insel ist, dass jeder Mensch eine Art von Gemeinschaft braucht, und sei sie noch so seltsam oder unzulänglich.

Harufs Idee, dass jeder mit seiner Stimme dazu beiträgt, einen reichen Klang des Lebens zu erzeugen, verleiht dem Roman Resonanz und hat mir gut gefallen. Das Leben in den Great Plains ist in der US-Literatur vielfach literarisiert worden, meist mit eher düsterem Tenor. Haruf ist erfrischend anders, ohne in Kitsch abzugleiten. Ein wenig erinnert er mich an Willa Cather. Am Ende des Romans hat man das Gefühl, dass die Menschheit vielleicht doch nicht ganz verloren ist.