anspruchsvoll und rätselhaft

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sophia60 Avatar

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Andrew Michael Hurley hat mit seinem Erstlingswerk einen merkwürdigen Roman vorgelegt: wie die schon veröffentlichten Rezensionen zeigen, die zwischen 2 und 5 Sternen in der Bewertung schwanken, fällt die Einordnung recht schwer!
Daher versuche ich meinen Leseeindruck zu differenzieren:
am einfachsten ist die Bewertung des Covers: ich finde es sehr gelungen, denn es spiegelt perfekt die im Roman beschriebene, schwere und gruselige Atmosphäre der Küstenlandschaft im englischen Norden wieder; und der rote Blutstropfen, der an dem wirren Geäst hängt, stellt für mich sehr gut den trockenen englischen Humor dar. Das Buch macht äußerlich einen wertigen Eindruck. Ich liebe das Lesebändchen!

Auch der Schreibstil des Autors hat mir gut gefallen: anspruchsvoll und doch flüssig zu lesen; bildhafte Sprache; gelungene Natur- und Personenschilderungen; ungewöhnliche Charaktere und glaubwürdige Dialoge machen die Handlung lebendig.

Der Autor versteht es perfekt Stimmungen und Spannung aufzubauen; offene Fragen und Probleme werden von Anfang an geschickt in die Handlung eingebaut. Doch hierin ist auch ein Schwachpunkt begründet: man liest und liest sich durch die verschiedenen Kapitel, jedoch werden die Probleme nicht gelöst, die Antworten nicht gegeben, und so mancher Leser wird hierbei sicher ungeduldig werden, vor allem da die erst am Ende präsentierten Lösungen und Antworten nicht sehr glaubwürdig sind.

Das Thema des Romans ist sicherlich interessant und außergewöhnlich: eine kleine katholische Glaubensgemeinschaft, die in einen mysteriösen Wallfahrtsort pilgert, in der Hoffnung auf Heilung eines behinderten Kindes bietet viele Ansätze zur Beschreibung von diversen Themen rund um den Bereich Glauben, Aberglauben, mittelalterliche Beschränktheit in religiösen Fragen und der Rolle von konservativen Priestern. Die vielen Möglichkeiten des Glaubenslebens werden durch die verschiedenen Romanfiguren dargestellt: zum Beispiel die fanatische Mutter " Mummer", die die Behinderung ihres Kindes "Andrew/Hanny" nicht akzeptieren kann und dessen Heilung durch Rituale und Gebete erzwingen will; der Priester "Father Wilfred", der Leiden als seligmachend propagiert und der schließlich, nachdem er seinen eigenen Glauben verloren hat, den Freitod wählt. Der junge "Father Bernard" als Gegensatz dazu ( geprägt durch seine Erlebnisse, die er im durch den Glaubenskrieg geprägten Belfast machen durfte) ist weltoffener und moderner eingestellt. Eine von Aberglauben geprägte Dorfbevölkerung wird beschrieben und als besonders Highlight die mysteriösen Gestalten Leonard, Parkinson und Collier, die mit Hilfe eines eigens zu diesem Zweck geborenen Säuglings Krankheiten und Gebrechen heilen wollen!
Das Buch mit seiner dunklen Grundstimmung wirkt lange nach. Ich habe mich ernsthaft- wie früher in der Schule von meinen Lehrern nach der Lektüre eines Buches gefordert- gefragt: " was will der Autor uns damit sagen ?" Ist es ein Infragestellen von Religion, von Katholizismus und Christentum ? Ist das satanische Ritual am Ende des Buches eine ironische Infragestellung des Christlichen Glaubens ?
Auf jeden Fall habe ich für mich beschlossen, dass es ein Buch ist, das man mehrfach lesen kann. Vielleicht finde ich dann die Antworten ?